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Und wo blieb der Herr, der den Strauß kaufte? fragst du,
kleiner Leser. Der fuhr nach Hause und ging hocherfreut zu seinem
Mütterlein, das in einem großen, reichen Hause wohnte. Er schenkte
ihr den Strauß. Freudig rief sie einmal über das andere aus:
„Wie schon! Wie schön!" Und während er mit seiner guten Mutter
am Tische plauderte und sich am Dufte der Rose ergötzte, da saßen
im Hause der Armut Mutter und Tochter beisammen, labten sich
und freuten sich der Gabe, die ihnen beschert worden war.
Nur eine Rose war es. und doch hatte sie vier Menschen
glücklich gemacht.
Karl Pilz.
79. Der alte Landmann an seinen Sohn.
Üb' immer Treu' und Redlichkeit
Bis an dein kühles Grab,
Und weiche keinen Finger breit
Von Gottes Wegen ab.
Dann wirst du wie auf grünen Au'n
Durchs Pilgerleben geh'n;
Dann kannst du sonder Furcht und Grau'n
Dem Tod entgegen seh'n.
Ludwig Heinrich Christoph Hölty.
80. Die Ähren.
Zwei muntre Knaben, die Söhne eines Landmanns,
gingen an einem Kornfelde ihres Vaters auf und ab.
„Ei, sieh doch!“ rief der eine, „welcher Unterschied
bei diesen Halmen hier sich zeigt! Sieh nur, wie hässlich
diese sich neigen, und wie schön und gerade dagegen jene
stehen!"
„Allerdings," erwiderte altklug der andre; „wenn ich
wie unser Vater wäre, alle diese hier, die sich so beugen,
risse ich aus und würfe sie weg."
,,Eine herrliche Wirtschaft, wenn ich dies thäte!" be¬
lehrte sie der Vater, der unbemerkt ihnen zugehört hatte.
„Wisst, junge Thoren, eben die Ähren, die euch so miss-