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Geschichten.
138. Die sieben Stäbe.
Ein Vater hatte sieben Söhne, die öfters miteinander un¬
eins wurden. Über dem Zanken und Streiten versäumten sie
die Arbeit. Ja, einige böse Menschen hatten im Sinne, sich
diese Uneinigkeit zu nutze zu machen und die Söhne nach dem
Tode des Vaters um ihr Erbteil zu bringen. Da ließ der ehr¬
würdige Greis eines Tages alle sieben Söhne zusammen¬
kommen, legte ihnen sieben Stäbe vor, die fest zusammengebun¬
den waren, und sagte: „Demjenigen von euch, welcher diesen
Bündel Stäbe entzweibricht, zahle ich hundert große Taler
bar."
Einer nach dem andern strengte alle seine Kräfte an, und
jeder sagte nach langem, vergeblichem Bemühen: „Es ist gar
nicht möglich." — „Und doch," sagte der Vater, „ist nichts
leichter." Er löste den Bündel auf und zerbrach einen Stab
nach dem andern mit geringer Mühe. „Ei," riefen die
Söhne, „so ist es freilich leicht, so könnte es ein kleiner
Knabe!" Der Vater aber sprach: „Wie es mit diesen Stäben
ist, so ist es mit euch, meine Söhne. So lange ihr fest zu¬
sammenhaltet, werdet ihr bestehen, und niemand wird euch
überwältigen können. Wird aber das Band der Eintracht,
das euch verbinden soll, aufgelöst, so geht es euch wie den
Stäben, die hier zerbrochen auf denl Boden umherliegen."
v. Schmid.
139. Das Wun-erkäftchen.
Eine Hausfrau hatte in ihrer Haushaltung allerlei Un¬
glücksfälle, und ihr Vermögen nahm jährlich ab. Da ging sie
in den Wald zu einem alten Einsiedler, erzählte ihm ihre be¬
trübenden Umstände und sagte: „Es geht in meinem Hause
einmal nicht mit rechten Dingen her. Wißt Ihr kein Mittel,
dem Übel abzuhelfen?" Der Einsiedler, ein fröhlicher Greis,
hieß sie ein wenig warten, ging in die Nebenkammer seiner
Zelle, brachte über eine Weile ein kleines, versiegeltes Käst¬
chen und sprach: „Dieses Kästlein müßt Ihr ein Jahr lang,
dreimal bei Tag und dreimal bei Nacht, in Küche, Keller,