Full text: [Abteilung 1 = Sexta, [Schülerband]] (Abteilung 1 = Sexta, [Schülerband])

96 A. Erzählende Prosa. IV. Sagen, b) Griechische Sagen. 
standen schön gekleidete Jünglinge mit Fackeln in den Händen, die 
leuchteten jenen zum Mahle. Fünfzig Mädchen dienten in dem Palaste, 
von denen einige das Geschäft hatten Korn auf der Handmühle zu 
mahlen, andere wirkten Zeuge oder spannen. Denn so wie die phäaki- 
fchen Männer erfahrene Schiffer waren, eben so sehr waren die Weiber 
dieses Volks wegen ihrer kunstreichen Webereien berühmt. 
Doch Odysseus ging noch immer nicht hinein. Erst besah er 
noch den schönen Garten hinter dem Hause, der mit einer hohen Mauer 
umgeben war und voll herrlicher Obstbäume prangte. Hier hingen 
saftige Birnen, Feigen und Granaten herab, dort schimmerten rot¬ 
gesprenkelte Äpfel und grüne Oliven, und halb versteckt hinter breiten 
Blättern blickten purpurne Trauben hervor. Wahrlich alle Jahres¬ 
zeiten sah man hier vereinigt; hier erhob sich ein Baum im Frühlings¬ 
schmuck zahlloser Blüten, dort stand ein andrer, an dem die grünen 
Früchte hingen, dort wieder ein andrer, der trug schon reife Früchte 
die Fülle. Ebenso auch die Trauben: einige lagen bereits abgeschnitten 
zum Dörren auf dem Boden, andere wurden gekeltert, andere schnitt 
der Winzer soeben, und wieder andere fingen erst an sich zu färben. 
Nützliche Gartengewächse standen in zierlich geordneten Beeten, deren 
Ränder mit duftenden Blumen eingeschlossen waren. Auch zwei Quellen 
schlängelten sich durch den Garten hin, wovon die eine den Palast mit 
Wasser versorgte, indes aus der andern, welche nach außen geleitet war, 
die Nachbarn schöpften. 
Jetzt erst, nachdem der Held alles betrachtet und bewundert hatte, 
ging er in den Saal des Königs hinein. Es war schon spät; die 
Fürsten, welche bei dem Alcinous schmausten, dachten bereits an den 
Aufbruch, und hielten eben den Becher in den Händen, dem Hermes 
zum Schlüsse ein Trankopfer darzubringen. Da sahen sie mit Ver¬ 
wunderung noch einen Fremdling rasch den Saal durchschreiten und 
vor der Königin niederfallen. Sie richteten sich alle auf und horchten 
aufmerksam, was er sagen würde. Er aber umfaßte nach dem Brauche 
der Flehenden Aretes Kniee und sprach: „O Arete, sieh, ich umfasse 
dir und deinem Gemahle die Kniee und allen Gästen umher; ich bin 
ein unglückbeladener, hartbedrängter Mann. Mögen euch die Götter 
Heil und langes Leben schenken und reiches Erbe euren Kindern im 
Hause und Ehre unter dem Volke! Mir aber seid zur Rückkehr in 
meine Heimat behilflich, denn schon lange bin ich von den Meinigen 
entfernt und irre im Elende umher". Mit diesen Worten stand er auf 
nnd setzte sich, wie es Hilfebittenden ziemte, in die Asche neben dem 
Feuerherde. Weil er die Gesellschaft so plötzlich überrascht hatte, so 
verstummten die Anwesenden alle; erst nach einiger Zeit unterbrach ein 
bejahrter Gast das Schweigen. 
„Alcinous," sprach er, „es ist nicht anständig, einen Fremdling am 
Herde in der Asche sitzen zu lassen. Die übrigen Männer schweigen, 
nur weil sie deiner Befehle harren. Wohlan, führe ihn doch zu einem 
silberbeschlagenen Sessel und laß durch die Herolde noch Wein mischen 
zu einem Opfer für Zeus und dem Fremden frische Speise reichen
	        
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