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Leinwand, preußischen Bernstein, russisches Pelzwerk einzutauschen. Von
hier gingen dann die Erzeugnisse fremden Kunstfleißes, Metallwaren, Arm—
bänder, Ringe, römische und arabische Münzen, Glasperlen u. a. weit
in das Innere der slavischen Länder. Winetas Blütezeit fällt in das 10.
und 11. Jahrhundert. Im Jahre 1043 wurde diese reiche Stadt von dem
Dänenkönige Magnus ausgeraubt und fast zerstört; seitdem erholte sie sich
nicht mehr; leicht gebaut, wie sie gewesen, hat sie nicht einmal Spuren
ihres Daseins hinterlassen; das Meer fraß allmählich selbst den Boden,
wo sie gestanden hatte.
Die Wenden waren ein kräftiger Menschenschlag, von gedrungenem
Körperbau, nicht besonders groß, fleischig, mit braungelber Haut, meist
dunkeln Haaren und Augen. Hitze und Kälte, Hunger und Durst ertrugen
sie leicht. Sie kleideten sich nach morgenländischer Art in lange Gewänder.
Auch in ihrem Charakter erinnerte manches an den Orient. Die Stellung
der Frau war bei ihnen hart und unwürdig; sie war die Sklavin des
Mannes, der über sie wie über alle seine Angehörigen unbeschränkt ver—
fügte. Auch herrschte Vielweiberei. Es war daher nichts Seltenes, daß
eine Mutter ihr neugeborenes Mädchen tötete, um es einer reizlosen und
mühevollen Zukunft zu entziehen. Andererseits ließen sich altersschwache
Eltern von ihren Kindern töten, weil das Diesseits ihnen unerträglich
schien, und ein gewaltsamer Tod in ein besseres Leben führte. Man fand
an den Wenden doch auch viel zu rühmen. Ein hervorstechender Zug in
ihrem Wesen war die strenge Ehrlichkeit; es gab unter ihnen keinen Dieb
und keinen Räuber, daher auch weder Schloß noch Riegel, und die Lüge
verabscheuten sie wie den Diebstahl. Allgemein übten sie die Tugend der
Gastfreundschaft und waren mild und wohlthätig gegen Arme.
Ihr politischer Zustand neigte wie bei allen Slaven zur Oligarchie.
Ursprünglich waren die Freien einander an Rechten gleich; jede Gemeinde
entschied ihre Beratungen nach Stimmenmehrheit und wählte sich ebenso
den Friedensrichter (Zupan) und den Heerführer (Woiwod). Mit der Zeit
bildele sich aus den Reicheren und aus denen, die sich im Kriege oder
als Priester ein größeres Ansehen erworben hatten, ein erblicher Adels—
stand, dessen Häupter zu Fürsten wurden. Jeder Stamm mußte nun seinem
Fürsten Abgaben zahlen und Kriegsdienste leisten, und die schwersten Lasten
flelen auch hier auf die Gemeinen. Je mehr der Adel aufkam, desto größer
wurde die Zahl derer, die aus freien Bauern zu leibeigenen Knechten
herabsanken.
Trat Krieg ein, so mußte jeder freie wehrhafte Mann mit Schild,
Spieß und Schwert oder Bogen und Pfeilen oder einer Keule mit ins
Feld. In Abteilungen zu 10, 100, 1000 zogen sie aus, jede Gemeinde
Uunter ihrem Zupan, mehrere Haufen unter einem Knesen, voran die
Paldamus, Lesebuch. 4. Teil. (Quarta). 6. Aufl.
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