wir gingen. Unterwegs kamen wir an einem niedern
Kirchlein vorbei. Auf seinem Dache saßen zwei weiße Täubchen.
Sie huschelten*) traulich nebeneinander im warmen Sonnenscheine
und schnäbelten und herzten sich.
Der Engel blieb stehen und zeigte mir die kosenden Täub¬
chen, und ich glaubte, bei ihnen müsse die reinste und größte
Liebe zu finden sein. Doch der Engel schwieg und führte mich
weiter.
Bald daraus sahen wir auf einem blumigen Rasenplatze ein
Geschwisterpaar. Ls war ein kleiner, lieblicher Knabe und fein
kleines, freundliches Schwesterchen. Sie nannten sich nicht anders
als „lieb Brüderchen" und „lieb Schwesterchen". Line Zeit lang
spielten sie zusammen, pflückten Blumen und wanden Kränze,
hieraus aber umarmten sie sich herzinniglich und küßten einander
aufs zärtlichste.
Der Engel blieb abermals stehen, zeigte mir das freundliche
Bild und lächelte. Ich aber meinte, jetzt werde er sagen, daß
die Geschwisterliebe die größte und reinste sei. Doch er schwieg
und führte mich weiter.
Als wir wieder ein Stück weg zurückgelegt hatten, kamen
wir an ein nettes täuschen. Links von der Thür, dicht
an der Mauer, beschattete eine alte, breitarmige Linde eine
Rasenbank. Auf dieser saßen ein wann und seine Srau. Es
war ein Vater und eine Mutter. Vor ihnen spielten ihre frischen,
muntern Kinder mit Ball und Reifen. Des Vaters rechte l^and
lag in der der Mutter, und seine linke ruhte aus ihrer Schulter.
Sie plauderten von ihren Kinderchen und von ihrem Glücke.
Dabei sahen sie einander lieb und treu in die Augen hinein,
drückten sich immer herzlicher die lLände, und mehr als einmal
küßte der Vater die Stirn der sanften Mutter.
G, dachte ich, eine reinere und größere Liebe kann es wohl
nirgends geben, als die zwischen Vater und Mutter.
Der Engel ließ mich eine geraume Zeit das treue Eltern¬
paar betrachten. Doch er schwieg dazu. Endlich aber faßte er
inich wieder an der jtzand und führte inich weiter.
Es währte nicht lange, so gelangten wir an einen prächtigen
Palast. Es war schon tief in der Nacht und die zwölfte Stunde
*) huscheln — kauern, hocken.