Full text: [Teil 2, [Schülerband]] (Teil 2, [Schülerband])

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Ihr seid ein mächtiger Graf, bekannt 
durcu ritterlich Walten im Schweizerland, 
Euch blũühen sechs liebliche Töchter. 
S8o 3 sie, rief er begeistert aus, 
sechs Kronen Euch bringen in Euer Haus, 
und glänzen die spätsten Geschlechter!“ 
I25 Vnd mit sinnendem Haupt sass der LKaiser da, 
als dacht' er vergangener Zeiten; 
jetzt, da er dem Sanger ins Auge sah, 
da ergreift ibhn der Worte Bedeuten. 
Die Züge des Priesters erkennt er schnell 
und verbirgt der Dränen stürzenden Quell 
in des Mantels purpurnen Falten. 
Und alles blickte den Kaiser an 
und erkannte den Grafen, der das gethan, 
und verehrte das göttliche Walten. 
25. April 1803. 
107. Der Weber und der Tod. 
Heinrieh Caspari. 
Erzahlungen für das deutsehe Volkx. 8. Ausl. Ztuttgart. 1871. 8. 146. (1. Ausl. 1855. 8. 146) 
Vor alter Zeit lebte ein Weber, der hatte sechs Kinder und war 
sehr arm. Da ward ihm noch ein Kind von seinem Weibe geboren 
und er gedachte, wen er dem Knäblein wollte zu Gevatter bitten. „D 
mußt einen reichen Mann dazu nehmen,“ sagte die Frau, „der sich de⸗ 
Wurmleins annimmt; denn bei uns kommt die liebe Sonne eher in⸗ 
Haus als das liebe Brot.“ „Ja,“ sagte der Mann, „aber die reichen 
Seute haben ein hartes Herz!“ Doch geht er hin zu einem reichel 
Bauern und entdeckt ihm sein Begehr. Der fuhr ihn hart an ind 
sagte, er habe der Paten wohl genug und brauche seines Kindes nich 
er solle bei seinesgleichen bleiben, schlug's ihm ab, und wies ihm di 
Thuͤre. So geht der Weber zu einem armen Manne. Der fagt, 
koönne für die Seinen nicht das Brot und die Kleider, viel weniger fin 
anderer Leute Kind einen Patenpfennig aufbringen, er solle zu reichen 
Leuten gehn und schlug's ihm auch ab. 
Da ward der Weber sehr traurig, klagte wider Gott und 
Menschen, und da er auf dem Heimwege durch einen Wald kam, rauft 
r vor großem Jammer sein Haar und rief, er wolle in einer 
schlechten Welt lieber gar nicht mehr leben, der Tod solle nur gleih 
ammen und ihn davon nehmen. Äls er das gesagt hatte, kommt ab 
bald ein Mann zu ihm heran, der hatte einen langen schwarzen Mante 
an, und wo er hintrat, wurde das Gras und die Blümlein gelb unte 
seinen Füßen, und zur Seiten ward das Laub an den Bäumen dün 
Und fiel auf den Weg. Das war der Tod. Der stellt sich vor ihl 
hin und spricht: „Du hast mich gerufen, was ist dein Begehr?“ Den 
Weber erschrickt, zieht seinen Huͤt ab, verneigt sich und spricht: „Mein 
Frau hat gestern ein Knäblein geboren, und niemand ill sein Pat 
werden, weder ein Reicher noch ein Armer. So hab' ich Euch gerufen 
denn Ihr seid ein Freund der armen Leute, daß Ihr sollt des ndlein⸗ 
Pate vperden!“ — Meinethalben,“ sagt der Tod, „bring das Kind
	        
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