Full text: Deutsches Lesebuch für die Oberstufe mehrklassiger Schulen

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58. „Du bist nicht die Löste, du sollst die beste sein; 
Edle Königin, hehle für jetzt die Reise mein; 
Eh morgen scheint die Sonne, lieg' ich hier zu Felde, 
Das glaub' auf meine Treue, vor dieser Burg mit achtzigtausend Helden." 
59. So schnell als sie konnten, fuhren sie hindann. 
Da hub ein härt'res Scheiden zwischen Freunden an 
Als je Freunde thaten, das darf man mir wohl glauben. 
Sie begleiteten die Boten so fern als sie nur konnten mit den Augen. 
60. Der Wäsche nun vergaßen die herrlichen Frau'n. 
Wohl konnt' es aus der Ferne die böse Gerlind schaun, 
Daß sie müßig waren da unten auf dem Strande. 
Da zürnte sie gewaltig; ihr lagen sehr am Herzen die Gewände. 
61. Da sprach die schöne Hildburg, die Maid aus Irland: 
„Was laßt ihr, Königstochter, liegen das Gewand, 
Daß ihr Ludwigs Degen zu waschen säumt die Kleider? 
Und wird das Gerlinde inne, so that sie uns mit Schlagen niemals leider." 
62. Da sprach die Tochter Hildens: „Dazu bin ich zu hehr, 
Der bösen Gerlind waschen will ich nimmermehr, 
Nun verschmäh' ich Dienste zu leisten so geringe, 
Da mich zwei Könige küßten und mit den Armen herzend mich umfiengen." 
63. „Ihr dürft mir nicht verdenken", hub Hildburg wieder an, 
„Daß ich zum Waschen rathe; wir thäten klüger dran, 
Als daß wir so die Kleider in die Kammer tragen, 
Sonst wird uns beiden der Rücken übel heute noch zerschlagen." 
64. Da sprach die Enkelin Hagen's: „Freude nahet mir, 
Trost und hohe Wonne; ob sie bis morgen hier 
Mich mit Besen schliigen, daran würd' ich nicht sterben; 
Doch die uns so mißhandeln, deren müssen viele bald verderben. 
65. „Ich will diese Kleider tragen zu der Flut; 
Es soll ihnen frommen", sprach das Mägdlein gut, 
„Daß ich mich vergleichen darf mit Königinnen; 
Ich werfe sie ins Wasser, daß sie lustig fließen von hinnen." 
66. Was auch Hildburg redete, Gudrun trug hindann 
Frau Gerlindens Linnen; zu zürnen hub sie an, 
Sie schwang sie aus den Händen weit in die Wogen. 
Sie schwebten eine Weile; ich weiß nicht, ob sie je hervor sie zogen. 
67. Die Nacht begann zu dunkeln, da längst der Tag zerrann. 
Hildeburg gieng traurig zu der Burg hindann: 
Sie trug drei Kleider und schöner Tücher sieben; 
Bei ihr gieng Ortweins Schwester; die war der Wäsche ledig heut' geblieben. 
68. Es war schon spät geworden, da kamen sie ans Thor 
Der Veste König Ludwigs; da fanden sie davor 
Die üble Gerlind' harren auf ihr Ingesinde. 
Die edeln Wäscherinnen grüßte sie mit Worten ungclinde. 
69. „Wer hat euch das erlaubet", sprach des Königs Weib, 
„Schmerzlich soll es büßen euer beider Leib, 
Daß ihr so spät am Abend euch mögt am Strand ergehen; 
Nicht ziemt es Königsfrauen, in ihrer Kammer euch hinfort zu sehen."
	        
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