Altdeutsche Literatur.
Da sprach die Enkelin Hagens: Freude nahet mir,
Trost und hohe Wonne: ob sie bis Morgen hier
Mich mit Besen schlügen, daran würd' ich nicht sterben;
Doch die uns so mißhandeln, deren müssen Viele bald derderben.
„Nun will ich diese Kleider tragen zu der Flut:
Sie sollen wohl erfahren,“ sprach das Mägdlein gut,
„Daß ich mich vergleichen dürfe Königinnen:
Ich werfe sie in's Wasser, daß ich sie lustig fließen seh von hinnen.“
Was auch Hildburg redete, Gudrun trug hindann
Gerlindens edles Linnen; zu zürnen hob sie an:
Sie schwang sie aus den Händen weit in die Wogen.
Sie schwebten eine Weile; ich weiß nicht, ob sie je hervor sie zogen.
3. Das Heldenbuch.
G. 458)
1. Aus der Ravennaschlacht.
Ehel schickt ein Heer zu Dietrichs Hülfe, welcher Ermenrich vor Raben angreift. Ehzeels beiden jungen
Söhne und Dietrichs junger Bruder Diether sind auch bei dem Heer, obwohl die Königin Helche einen warnenden
Traum gehabt hatte. Sie sollen jedoch in Verona zurückbleiben. Als es zur Schlacht geht, entsliehen sie aber
ihrem Hüter Ilsan, greifen auf einsamer Haide einen Verräther aus Dietrichs Heer an und werden von dem—
selben alle drei erschlagen. Dietrich beklagt sie und will Rache nehmen; aber der Mörder wird von einem Meer—
weib in den Grund der See gerettet. — Dietrich fürchtet Etzel's und Helche's Zorn, Rübdiger bringt ihnen die
Trauerbotschaft, betheuert Dietrichs Unschuld an dem Tod der Kinder und bewirlt die Verzeihung und Versöhnung.
Dietrichs Klage um die Kinder.
„Nun sage, guter Degen, was ist dir geschehn?
Du jammerst sehr, so rede: was hast du gesehn,
Das dich so erschreckte? das vernähm' ich gern.
Da sprach aber Helferich zu dem edeln Vogt von Bern:
„Wißt ihr nicht die Märe, Vogt vom Römisch Reich?
Ihr habt wohl Grund zu trauern, die jungen Kön'ge reich
Liegen beid' erschlagen, und euer Diether.
Der Sieg ist auch verloren: die Hunnen streiten nicht mehr.“
Da lief zu seinem Rosse der erschrockne Mann;
Ihm folgten geschwinde die Herrn in seinem Bann.
Mit Helferich dem Kühnen kam er dahin gerannt,
Wo er seine Herren mit den Todeswunden fand.
Auf die lieben Kinder der Berner warf sich hin
Mit kläglichen Schmerzen; wohl hatt' er Ungewinn.
In ihre Wunden küßte sie der betrübte Mann:
„Nun hab' ich meinen Jammer erst gefunden,“ hub er an.
Seine Hände beide er in die Augen schlug.
„O weh großer Leide! daß mich die Mutter trug.
Das müsse Gott erbarmen! auf der weiten Welt
Schuf er nicht so Armen, da ich diese seh' gefällt.
„Nun weh mir, immer wehe, daß ich geboren bin!“
Das Haar aus der Schwarte brach er in irrem Sinn.
„O weh, an welchem Ende soll man mich da schaun,
Wenn man solche Märe Frau Helken sagt, meiner Fraun!“
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