61
füllen wolle, durch weitere Gesetze für die Arbeiter zu sorgen. Sein
Streben ging dahin, diejenigen Staatsbürger, die nur durch die Arbeit
ihrer Hände ihr tägliches Brot verdienen, vor der äußersten Not zu
schützen, wenn sie im Alter oder durch Krankheit erwerbsunfähig
werden. Daher gab er im Jahre 1889 dem Jnvaliden-Ver-
sichernngsgesetz die Zustimmung, das durch ein am 1. Januar 1900
gültig gewordenes Gesetz verbessert worden ist. Ihm unterliegen alle
Arbeiter, Gehilfen, Gesellen, Lehrlinge und Dienstboten vom 16. Lebens¬
jahre ab. Jeder Versicherte führt eine Karte, welche Platz für
52 Wochenmarken enthält. Die Marken sind vom Arbeitgeber ein-
zukleben. Es gibt Marken zu 14, 20, 24, 30 und 36 -P'. Die Art
der einzuklebenden Marken richtet sich nach der Lohnklasse, in der die
Versicherten stehen. Die I. Klasse reicht bis 350 JL, die II. bis 550 Ji,
die III. bis 850 Ji t die IV. bis 1150 Jahresverdienst) zur
V. Klasse gehören diejenigen, welche mehr als 1150 Ji Einkommen
haben. Die Hälfte des Preises der Marken darf der Arbeitgeber den
Arbeitern am Lohne abziehen. Gegen diese regelmäßigen Leistungen
erhält die versicherte Person eine Jahresrente, wenn sie dauernd
eriverbsnnfähig oder altersschwach wird und die vorgeschriebene Warte-
zeit zurückgelegt hat. Die Wartezeit beträgt 200 bezw. 500 Beitrags¬
wochen bei der Invalidenrente und 1200 Beitragslvochen bei der
Altersrente. Kein anderes Land hat ein Gesetz, das den Arbeiter-
stand in dieser Weise unterstützt, als Deutschland.
Mit dieser Fürsorge für die Zukunft der Arbeiter ließ es der
Kaiser aber noch nicht genug sein. Er wollte nun auch den körper-
lichen und sittlichen Schutz der Arbeiter gesetzlich regeln und eine
leichtere Einigung bei Streitigkeiten zwischen Arbeitgebern und Arbeit-
nehmern anbahnen. Am 4. Februar 1890 erschienen zwei Allerhöchste
Erlasse, in welchen der Kaiser dieser Willensmeinung Ausdruck gab.
Um aber der deutschen Industrie nicht durch einseitige Lasten den
Wettbewerb mit der ausländischen unmöglich zu machen, lud der Kaiser
die Staaten Europas zu einer Arbeiter-Schutz-Konferenz ein. Dieselbe
trat am 15. März 1890 in Berlin zusammen und dauerte 14 Tage.
Fast alle europäischen Staaten hatten sich durch hervorragende Männer
beteiligt. Die Folge dieser Konferenz waren wichtige Gesetze in
Frankreich, Belgien, Österreich, Ungarn und England zum Schutze der
arbeitenden Männer-, Frauen und Kinder. Am entschiedensten ging
aber auch jetzt das Deutsche Reich voran. Hier wurden zur Beilegung
von gewerblichen Streitigkeiten zwischen Arbeitgebern und Arbeitern
durch ein Gesetz vom 29. Juli 1890 die Gewerbegerichte eingesetzt.
Noch bedeutsamer war die Novelle (ein Nachtrag) zur Gewerbeordnung
vom 1. Juni 1891. Dieselbe kann als ein eigentliches Arbeiterschutz-
gesetz augesehen werden. Denn es wird darin die Sonntagsruhe
in Bergwerken, Fabriken, Werkstätten und im Handelsgewerbe geregelt)
die Beschäftigung schulpflichtiger Kinder in Fabriken wird ver-
boten) für Frauen wird die Arbeit zur Nachtzeit untersagt und die