Full text: Geschichte des preußischen Vaterlandes

200 Das Waisenhaus zu Halle. 
das Geld zu ihrem Unterhalte nehmen würde; doch setzte er sein Vertrauen 
auf Gott und da unterdeß die Armenschule bereits in einem besonderen Hause 
untergebracht war, nahm er dahin auch die Waisen unter Leitung armer Stu- 
direuder, für die er von den ihm zufließenden mildthätigen Gaben zugleich 
Freitische gründete. Bald wurde der Raum für die Schule und die Waisen 
zu klein und Francke dachte daran, ein ordentliches Waisenhaus zu bauen. 
„Mehrere rietheu mir," schreibt er, „das Hans von Holz zu bauen, aber der 
Herr stärkte mich im Glauben, als hätte er zu mir gesagt: Baue das Haus 
von Steinen, ich will dir's bezahlen." In der That öffnete Gott der Men¬ 
schen Herzen, daß nach und nach das Nöthigste zum Beginn des frommen Werkes 
zusammenkam, und am 24. Juli 1698 legte Francke getrost den Grundstein 
zu dem noch jetzt bestehenden großen Halleschen Waisenhause. „Da war kein 
Vorrath," schrieb er, „nicht eine Hütte zu bauen, geschweige ein Waisenhaus 
für ein paar hundert Menschen, aber der Herr hat's mit der That bewiesen, 
daß er sich zu der Sache bekennen wolle, und vou Woche zu Woche gleichsam 
zugebröckelt, was die Nothdurst erforderte, daß die Waisenkinder nicht Hunger 
gelitten und die Bauleute bezahlt wurden. Mit Gott hat es mir noch nie¬ 
mals gefehlt, aber mit Menschen und ihren Vertröstungen vielmals; wenn's 
aber mit dem einen fehlte, hat Gott den anderen erweckt; wenn sich eine 
Quelle verstopft hat, hat sich die andere eröffnet." Von Anfang an sah Francke 
den Bau nicht als seine, sondern als Gottes Sache an, und an ihm bewährte 
sich das Wort: „Wenn ihr Glauben hättet wie ein Senfkorn, ihr könntet 
Berge versetzen." Jahre lang war die Geschichte des Waisenhauses ein täg¬ 
licher Kampf gläubigen Gottvertrauens gegen die dringendste Noth, aber im¬ 
merdar ist das Vertrauen gekrönt worden: hundert augenfällige Erweise der 
helfenden göttlichen Gnade wurden dem treuen Gottesmanne gegeben. Einst 
kam der Hausvater zu ihm und stellte ihm vor, es sei die höchste Zeit, wieder 
Vorräthe, Holz n. a. einzukaufen, aber es sei kein Geld da, es bleibe nichts 
übrig, als irgendwo zu borgen. Francke aber sagte: „man müsse erst Gott 
bitten gehen, ob er nicht Hülfe schicken wolle," nnd er ging in feine Kammer, 
dem Herrn in kindlichem Gebete die Noth vorzutragen. Noch an demselben 
Abende kam ein Freund mit einem Briese und einer Rolle Geld, die für das 
Waisenhaus geschickt worden war. — Ein anderes Mal, als auch die Noth 
sehr groß war, wollte sie Francke eben wieder im Gebete dem Herrn klagen, 
da kam von einem Käufmanne in Leipzig eine Sendung von 1000 Thalern. 
Da gedachte er an den Spruch: „Ehe sie rufen, will ich antworten," und 
ging auch in fein Kämmerlein, aber nicht um zu bitten, sondern um Dank zu 
opfern aus freudigem Herzen. Nach und nach verbreitete sich der Ruf der 
trefflichen Anstalten so, daß von allen Seiten Vornehme und Niedere, Reiche 
und Arme wetteiferten, ihre Theilnahme an dem schönen Werke zu bezeigen; 
arme Bäuerinnen brachten Lebensmittel für die Francke'schen Waisenkinder 
und baten ihn, dies Scherflein der Armuth anzunehmen. 
Ein treuer Gehülfe für Francke war ein Theologe Elers: derselbe wurde 
auch der Gründer der berühmten Waisenhaus-Buchhandlung, die einen ebenso 
merkwürdigen Anfang nahm, wie die anderen Stiftungen. Elers michctc 
nämlich auf der Leipziger Messe ein Tischchen, um Francke's Predigt „über 
die Pflichten gegen die Armen" feit zu bieten; das brachte dem Waisenhause
	        
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