Geselliger und geistiger Verkehr an Sophie Charlotten's Hofe; ihr Tod. 215
sicht hegte, den Kurfürsten und seine Gemahlin zum Katholicismus zu be¬
kehren ; Sophie Charlotte ließ ihn mit zwei ausgezeichneten protestantischen
Geistlichen über die beiderseitigen Lehren dispntiren und wies dann in einem
leicht und schön geschriebenen Briefe selbst die Angriffe Vota's gegen die pro¬
testantische Lehre zurück. Ebensowenig gelang es dem Freidenker Toland,
welcher alle Offenbarung dem Urtheil der bloßen menschlichen Vernunft unter¬
werfen wollte, den christlichen Glauben der Fürstin zu erschüttern. Nicht
immer blieben die Erörterungen streng wissenschaftlich, oft gingen sie in leicht
gesellige Unterhaltung über, und besonders, wenn die streitenden Parteien zu
heftig aneinander gerathen wollten, trat die Fürstin selbst durch ihre weiblich
würdevolle Haltung und ihre wohlwollende Freundlichkeit vermittelnd ein.
Auch die schönen Künste waren in Charlotten's Nähe ein wirklicher Schmuck
des Lebens; besonders hatte Musik für sie den lebendigsten Reiz, und ihre
Ausübung durfte nie fehlen. Der König unterhielt eine bedeutende Kapelle,
nahm ausgezeichnete Tonkünstler in Dienst, und die berühmtesten Sänger
und Sängerinnen aus Italien kamen nach Berlin. Seiner Prachtliebe waren
Schauspiele und Opern sehr willkommen. Sophie Charlotte selbst übte die
Kunst mit Meisterschaft, und ihr Eifer für dieselbe war auf die Umgebung,
ja auf die Stadt Berlin übergegangen. Alle jungen Personen des Hofes
waren mehr oder minder musikalisch, und die Königin konnte auf ihrem Theater
in Lützenburg ganze Opern durch solche Liebhaber und Liebhaberinnen aus¬
führen lassen.
Das eigenthümlichste Talent der Fürstin war aber das der zwanglosen,
gemüthlichen Conversation. Recht im Gegensatze mit ihrem Gemahle, der
sich am frühen Morgen erhob uud sein Tagewerk gern mit ceremoniöser
Pracht unterbrach, liebte sie die langen Abende, zwanglose Hoheit, freies
Gespräch. Sie war offen, edel, unverstellt und voll Anmuth. Keine Schmei¬
chelei und nichts Unschönes hätte sich an sie heranwagen dürfen; denn sie
wußte das Aechte von dem Falschen wohl zu unterscheiden. Sie kannte ihre
Leute durch und durch und schonte ihre Schwächen in den vertraulichen Ge¬
sprächen durchaus nicht; Anmaßungen wies sie mit Kälte zurück, verlegene
Bescheidenheit zog sie eher hervor.
So lebte Sophie Charlotte bis zum Jahre 1705, wo sie auf einer Reise
nach Hannover im siebenunddreißigsten Jahre zur überirdischen Heimath ab¬
gerufen wurde. Schon zwölf Jahre vorher in der schönsten Jugendblüthe hatte
die geistreiche und lebenslustige Fürstin ernstlich des Todes gedacht und ihr
Testament niedergeschrieben. Als Text zur Leichenpredigt hatte sie dabei die
Worte Joh. 11, 25 erwählt: „Jesus spricht: Ich bin die Auferstehung und
das Leben. Wer an mich glaubet, der wird leben, ob er gleich stürbe, und
wer da lebet und glaubet an mich, der wird nimmermehr sterben."
Alle Zeitgenossen stimmen darin überein, daß die Schönheit Sophie
Charlotten's außerordentlich gewesen und Ehrfurcht und Bewunderung ge¬
boten, der Ausdruck ihrer seelenvollen klaren Züge aber nur Zuneigung und
Vertrauen eingeflößt habe. Wiewohl klein von Gestalt, hatte sie doch ein
hohes, würdevolles Ansehen. Einen eigenen Zauber gab es ihrem Gesichte,
datz aus den reinsten blauen Augen liebliche Sanstmnth blickte, während das