Proklamation des Königs, Mordversuch gegen denselben. 499
vaterländischen Geist meines Volkes zu heben unb zu stärken Mir vor¬
setze. Ich will das Recht des Staates nach seiner geschichtlichen Be¬
deutung befestigen und ausbauen und die Institutionen, welche König
Friedrich Wilhelm der Vierte ins Leben gernsen hat, aufrecht erhalten.
Treu dem Eide, mit welchem Ich die Regentschaft übernahm, werde Ich
die Verfassung und die Gesetze des Königreiches schirmen. Möge es
Mir unter Gottes gnädigem Beistände gelingen, Preußen zu neuen
Ehren zu führen!
Meine Pflichten für Preußen fallen mit Meinen Pflichten für
Deutschland zusammen. Als deutschem Fürsten liegt Mir ob, Preußen
in derjenigen Stellung zu kräftigen, welche es vermöge seiner ruhm¬
vollen Geschichte, seiner entwickelten Heeres-Organisation unter den
deutschen Staaten zum Heile Aller einnehmen muß.
Ich werde Mich bemühen, die Segnungen des Friedens zu erhal¬
ten. Dennoch können Gefahren für Preußen und Deutschland herauf¬
ziehen. Möge dann jener gottvertrauende Muth, welcher Preußen in
seinen großen Zeiten beseelte, sich an Mir und Meinem Volke bewähren
und dasselbe Mir auf Meinen Wegen in Treue, Gehorsam und Aus¬
dauer fest zur Seite stehen! Möge Gottes Segen auf den Aufgaben ru¬
hen, welche Sein Rathschluß Mir übergeben hat!"
Das preußische Volk, welches König Wilhelm's ernsten, festen und ge¬
rechten Sinn schou während der drei Jahre der Regentschaft kennen und ver¬
ehren gelernt hatte, sah seiner weiteren Regierung mit freudigem Vertrauen
entgegen.
Die Theilnahme und Verehrung für den König zeigte sich auf das Leb¬
hafteste, als im Juli 1861 die Nachricht von einem Mordversuche gegen den¬
selben aus Baden-Baden eintraf. Ein Student aus Leipzig, Oskar Becker,
Russe von Geburt, von dem revolutionären Geiste der Zeit ergriffen, sah in
dem König von Preußen ein Hinderniß für die Pläne der deutschen Revo¬
lutionspartei und beschloß, ihm nach dem Leben zu trachten. Er wollte
dazu einen kurzen Sommerauseuthalt des Königs in Baden-Baden benutzen.
Bei einem Spaziergange desselben in der Lichtenthaler Allee schoß Becker mir
einer Pistole von hinten auf den König, Gott aber schützte dessen Leben, in¬
dem die Kugel nur den Hals streifte, ohne eine größere Verwundung zu ver¬
ursachen. Der Verbrecher wurde von dem Begleiter des Königs, dem Gesandten
Graf Flemming, sofort festgenommen, dann verhaftet und dem Gerichte über¬
liefert. Der König hatte nach dem Schusse mit gewohnter Festigkeit seinen
Weg ruhig fortgesetzt, um seiner Gemahlin, welche vorausgegangen war, mit
der ersten Nachricht über den Mordversuch, zugleich die Gewißheit von dem
Mißlingen desselben zu geben. In Preußen nicht blos, sondern in ganz
Deutschland rief der traurige Vorfall allgemeine Entrüstung und Zeichen
der herzlichsten Verehrung für den König hervor. Für alle jene Kundgebungen
der Liebe und des Vertrauens dankte der König, indem er sagte: Es sei ihm
somit die Frevelthat, die sein Leben bedroht, zu reichem Gewinne geworden
und er erkenne darin eine erneuerte Aufforderung zum Danke gegen den Herrn
über Leben und Tod, dessen schirmende Hand die mörderische Kugel von ihrem
Ziele abgelenkt hatte.
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