Full text: Deutsche Sagen und Geschichten aus dem Mittelalter (Teil 2)

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Wanderungen im Sagenlande. 
und Hildegunde^ Flucht große Aufregung uud Zorn des Hunnenkönigs; 
aber Niemand wagte sich um deu Preis, deu der König für die Zurück- 
bringung Walthari's, des gefürchteten Helden, aussetzte, zn bewerben. 
Vierzig Male schon war die Sonne untergegangen, seitdem Walthari 
und Hildegunde die Königsbnrg der Hnnnen verlassen. Da ans einmal glänzte 
aus lichtem Waldsaum eiu Fluß zu ihnen herüber: es war der Rhein, und 
jeuseits am Ufer lag Worms, die Königsburg der Franken. Ein Fischer 
setzt Beide über, und Walthari giebt ihm zum Lohn von den Fischen, die 
er als Vorrath mitgebracht. 
Die Fische werden auf des Köuigs Tafel gebracht; verwundert forscht 
dieser nach, woher die ihm fremden Fische kommen: „Von einem gewappneten 
Fremdling, der übersetzte", sagt der Fischer, „rühren sie her, und der rasch in den 
Forst ritt; an seiner Seite sitzt mit ihm auf gleichem Roß eine Maid, schön 
wie Sonnenschein, und auf dem Rücken des Rosses hängen zwei Schreine, 
wie ich aus dem Klang hörte, mit Gold und Edelstem gefüllt." 
„Das ist Walthari, mein Gesell nnd Genoß an Etzel's Hose", ruft freudig 
Hagauo aus, „der heimreitet aus Hunnenland". Jubel schallte durch deu 
Saal; aber Guuthari, der König, stieß zornig die Tische um und sagte: 
„Jetzt ist Gelegenheit, deu Schatz wieder zu erlangen, den mein Vater den 
Hnnnen geben mußte. Auf, sattelt die Rosse!" Vergebens bat Hagano, des 
alten Freundes gedenkend, von der That abzustehen, und Gnnthari wählte 
der Mannen zwölf als Heeresgefolg. 
Walthari war unterdessen mit Hildegunde landeinwärts jenseit des Rhei- 
nes geritten in den schattig düstern Forst, Wasichenwald (Yosagus) genannt, 
des Weidmanns Freude, wo Jagdhorns Schall nnd Hundegebell so fröh- 
lich zusammenklangen. 
Dort ragen dicht beisammen zwei Berge in die Luft, 
Es spaltet sich dazwischen anmnthig eine Schlucht, 
Umwölbt von zackigen Felsen, umschlungen von Geäst, 
Und grünem Strauch und Grase, ein rechtes Räubernest. 
Hier ruhten die Flüchtlinge ans. Während Walthari, der schon lange 
des Schlafes entbehrte, in süßen Schlummer gesunken, hält Hildegunde 
Wacht. Da sieht sie auf einmal vom Bergesgipfel herab im Thale Staubes- 
Wirbel und Rossegetrab. Sie strich mit leisem Finger des Schläfers braunes 
Haar, und bald staud Walthari da im Glänze der Waffen. Hildegunde 
glanbt, es feieu die Hunnen, und will lieber sterben als ihnen überliefert 
sein. „Nein", sagt Walthari, nachdem er sich die Schar besehen, 
„Nicht Hunnen sind die Feinde, es sind nur dumme Jungen, 
Die hier im Lande wohnen, sind fränkische Nibelungen" (Franci Nebulones). 
und er erkennt unter ihnen Hagen, seinen alten Kampsgenossen, den er allein 
fürchtet wegen seiner List, und er stellt sich drohend an das Felsenthor. Der 
Name Nibelungen oder Nebellungen wird hier znm ersten Mal und am frühe- 
sten genannt. 
Noch einmal bittet Hagano, vom Kampfe abzustehen oder friedlichen 
Vergleich zu suchen. Walthari bietet dem Boten hundert goldrothe Spangen.
	        
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