Full text: Reallexikon des classischen Alterthums für Gymnasien

Quaestor. 
Fristen waren verschieden und gingen, namentlich 
bei den Repetunden, wo die Beweismittel aus 
der Ferne herbeigeschafft werden mußten, bis zu 
100 Tagen) die Untersuchung vor den Richtern 
(cognitio). Wer bei der Citation durch den 
Präco ausblieb, wurde in contumaciam verur¬ 
teilt (s. Contumacia); waren dagegen beide 
Parteien erschienen, so erfolgte die Wahl, Ver¬ 
zeichnung und Vereidigung drr Richter. Anklage 
und Vertheidigung wurden in zusammenhängender 
Rede — oratio perpetua — vorgetragen; für 
den Ankläger sprachen oft noch die subscriptores, 
welche mit ihm die Klage eingereicht hatten, für 
den Angeklagten mehrere Patrone. Mit der an¬ 
fangs unbegrenzten Redefreiheit wurde manchmal 
Misbrauch getrieben, um die Sache in die Länge 
zu ziehen. Erst Pompejus beschränkte die Zeit, 
anfangs nur in den Untersuchungen de vi und 
de ambitu. Die gesetzmäßige Zeit (tempus le¬ 
gitim um, iustum et debitum). wurde nach der 
Wasseruhr bestimmt; ihre Dauer war nicht gleich. 
Wenn nach Beendigung der beiderseitigen Reden 
der Präco dixerunt gerufen hatte, folgte die al- 
tercatio, d. h. die kurzen Fragen und Antworten 
der Parteien. Dann wurde zum Beweisverfahren 
(probatio) geschritten. Als Beweis galt: Geständ- 
mß, Zeugenaussagen, Urkunden, Judicien. Dann 
folgte das Urtheil, sententia iudicum, gegen wel¬ 
ches, wie gegen einen Volksbeschluß, keine Provoca- 
tion oder Appellation zulässig war. Hatte die Majo¬ 
rität mit non liquet gestimmt, so trat ampliatio 
oder comperendinatio (s. d.) ein, also eine zweite 
Untersuchung. Mit der Freisprechung war die 
Sache für immer erledigt; der Verurtheitte mußte 
feine Strafe sofort antreten. Das verdammende 
Urtheil, befonders die Verbannung, konnte in 
späterer Zeit durch Volksbeschluß wieder ausge¬ 
hoben werden; dies hieß restitutio. 
1 Quaestor, unstreitig a quaeremlo genannt, 
also — quaesitor, war ursprünglich nichts anderes 
als Kriminalrichter, unter den Königen für das 
parricidium. Durch die lex Valeria, welche den 
Centuriatcomitien die Criminalgerichtsbarkeit über¬ 
trug , verloren die Quästoren indeß ihre eigent¬ 
liche Bedeutung und wurden nun Finanzbeamte; 
doch auch als Ankläger traten sie wol noch auf, 
quaestores parricidii. In den Zeiten der Re¬ 
publik unterschied man quaestores aerarii oder 
urbani von den militärischen oder Provinzial¬ 
quästoren. Schon unter Romulus und Numa gab 
es 2 Quästoren, und Tacitus (ann. 11, 22.) sagt, 
daß die Quästoren aus dem Königthum in die 
Republik hinübergenommen wurden; im I. 421 
v. C. kamen zu den 2 Quästoren noch 2, so daß 
nun 2 das Aerarium besorgten, quaestores ur¬ 
bani, 2 zur Begleitung der Consuln in den 
Krieg gingen, ad ministeria belli (Liv. 4, 43. 
Tac. ann. 11, 22.); 267 v. C. stieg die Zahl auf 
8, Sulla vermehrte die Zahl auf 20, Cäsar machte 
(44 v. C.) sogar 40 Quästoren, später war die 
2 Zahl willkürlich. — Sogleich nach dem Amts¬ 
antritte (an den Nonen des December) wurden 
die provinciae quaestoriae verloost; 2 Quäst. 
blieben als urbani in Rom, die andern besorgten 
Finanzgeschäfte in und außer Italien nach dem 
Loose. In Italien richtete Augnstus mehrere 
Quästureu ein (Din Cciss. 55, 4.), doch sind uns 
nur :> bekannt. Die eine, zu Ostia, hatte schon 
Real Lexikon des class. Alterthums. r>. Ausl. 
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früher Bestand {Cie. Mur. 8. negotiosa et mo- 
lesta), höchst wichtig wegen der Getreidezufuhr 
und des übrigen Seehandels; eine zweite wird 
namentlich genannt Suet. Claud. 24. im cisalpi 
uischen Gallien, eine dritte erwähnt Tacitus (ann. 
4, 27. quaestor, cui provincia vetere ex move 
call es evenerat) d. i. ein Berenner und Ver¬ 
walter der Wälder und Gebirgstriften in Apulien 
und Lncanien (Suet. Caes. 19. silvae callesque). 
Eine etwaige Qnästnr zu Cales, einer Binneu- 
stadt in Campanien, die vielfach angenommen 
wird, verdankt ihren Ursprung einer Conjectnr 
des Lipsins zil Tac. ann. 4, 27., der die hand¬ 
schriftliche Lesart calles in Cales änderte. S. 
darüber die Erklärer. Eine vierte Quästnr in 
Italien ist vielleicht Plin. pan. 70. bezeichnet. 
Claudius hob alle diese Quästnren in Italien auf. 
JJio Cass. 60, 24. Suet. Claud. 24. Ueber die 
Verkeilung der Quästnren enthielt die nur bei 
Cicero (Mur. 8.) erwähnte lex Titia nähere Be¬ 
stimmungen. Die quaestores urbani oder aerarii 
standen dem mit dem Tempel des Saturn ver¬ 
bundenen Aerarium vor und hatten die gesummte 
Einnahme und Ausgabe unter sich. Sie sorgten 
für die richtige Abgabe aller ins Aerar zu lie¬ 
fernden Gelder (Tr'tbutum, Stipendium, Ertrag 
der verkauften Aecker\ andererseits hatten sie ans 
Anweisung des Senats die nöthigen Zahlungen 
zu leisten. Sie besorgten die Verdingung der 
Arbeiten bei Errichtung öffentlicher Denkmäler, 
Verpflegung der Gesandten, worüber sie natürlich 
Rechnung ablegen müßen. Auch die im Aerar 
befindlichen militärischen Feldzeichen hatten sie in 
Gewahrsam. — Die quaestores provinciales be¬ 
gleiteten nach dem Loose die Consuln u. s. w, in 
die Provinzen; jeder Statthalter hatte 1 Quästor, 
nur auf Sicilien waren 2, in Lilybaion und Sy¬ 
rakus. Cic. Verr. 2, 4. Ihre Thätigkeit war 
besonders finanzieller Art, sie besorgten die ös- 
fentlidje Casse (pecuniam publicam tractare) und 
zahlten die für Heer, Statthalter und Gefolge 
nöthigen Gelder aus derselben. Die Quäst. mußten 
natürlich genaue Rechnung führen und ablegen 
(rationem referre) in ihrem und des Statthalters 
Namen; der liebend)uß wurde nach Rom abge¬ 
liefert. Da zwischen Quästor und Statthalter ein 
noch über die Dauer des Amtsjahres hinaus¬ 
gehendes Pietätsverhältniß bestand (Civ. div« in 
Caec. 14. 18 ff. Verr. 1, 4.), so wurden dem Quä¬ 
stor oft auch andere wichtige Geschäfte anvertraut. 
— Seit 421 v. C. hatten auch Plebejer Anrecht 
an die Quästnr, welche sie indeß erst 12 Jahre 
später wirklich erhielten. Liv. 4, 43. 54. Das 
gesetzmäßige Alter war das 27. Jahr (so Rein), 
nach Becker das 30. Die Quästoren wurden wahr¬ 
scheinlich seit 447 v. C. in den Tributcomitien 
gewählt (Cic. ad fam. 7, 30. Tac. ann. 11, 22. 
ist wol nicht richtig). Mit Ablauf des Jahres 
legten sie ihr Amt nieder. Die Insignien der 
hohem Magistrate hatten die Quästores nicht, 
doch nennt Tacitus (ann. 11, 38. 16, 33.) in- 
signia quaestoria. Während ihres Amtsjahres 
hatten sie Zutritt in den Senat, und die Censoren 
pflegten bet der lectio die gewesenen Quästoren 
in den Senat aufzunehmen. Liv. 33, 23. — And) 
unter den Kaisern dauerte die Quästnr fort, als 
unterste Magistratur (Tac. ann. 13, 29.), aber 
die Oberaussicht des Aerars ging an den prae- 
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