10
zieht, wo uns auch nicht ein Fußbreit Vorsprung oder Bucht zur
Rettung gegeben ist.“
Aufmerksam durch diese Reden, betrachteten wir nun unser
Schicksal mit Grauen; demn obgleich die Nacht die zunehmende Gefahr
nicht unterscheiden ließ, so bemerkten wir doch, dass das Schiff,
schwankend und schwippend, sich den Felsen näherte, die immer finsterer
vor uns standen, während über das Meer hin noch ein leichter Abend—
schimmer verbreitet lag. Nicht die geringste Bewegung war in der
Luft zu bemerken; Schnupftücher und leichte Bünder wurden von jedem
in die Höhe und ins Freie gehalten, aber keine Andeutung eines
erwünschten Hauches zeigte sich. Die Menge ward immer lauter und
wilder. Nicht etwa betend knieten die Weiber mit ihren Kindern auf
dem Verdeck, sondern, weil der Raum zu eng war, sich darauf zu
bewegen, lagen sie gedrängt aneinander. Sie noch mehr als die Männer,
welche besonnen auf Hilfe und Rettung dachten, schalten und tobten
gegen den Capitän. Nun ward ihm alles vorgeworfen, was man auf
der ganzen Reise schweigend zu erinnern gehabt: für theures Geld
einen schlechten Schiffsraum, geringe Kost, ein zwar nicht unfreund—
liches, aber doch stummes Betragen. Er hatte niemand von seinen
Handlungen Rechenschaft gegeben, ja selbst noch den letzten Abend ein
hartnäckiges Stillschweigen über sein Thun beobachtet. Nun hießen
er und der Steuermann hergelaufene Krämer, die, ohne Kenntnis der
Schiffkunst, sich aus bloßem Eigennutz den Besitz eines Fahrzeuges zu
verschaffen gewusst und nun durch Unfähigkeit und Ungeschicklichkeit
alle, die ihnen anvertraut, zugrunde richteten. Der Hauptmann schwieg
und schien immer noch auf Rettung zu sinnen; mir aber, dem von
Jugend auf Anarchie verdrießlicher gewesen als der Tod selbst, war
es unmöglich, länger zu schweigen. Ich trat vor sie hin und redete
ihnen zu; ich stellte ihnen vor, dass gerade in diesem Augenblick ihr
Lärmen und Schreien denen, von welchen allein noch Rettung zu
hoffen sei, Ohr und Kopf verwirrten, so dass sie weder denken, noch
fich untereinauder verstaͤndigen könnten. Die Schiffsleute versuchten
noch ein Rettungsmittel, das wenigstens in die Augen fallend war:
sie ließen das Boot hinunter, das freilich nur sechs bis acht Männer
fassen konnte, befestigten es durch ein langes Seil an das Schiff,
welches die Matrosen durch Ruderschläge nach sich zu ziehen kräftig
bemuüht waren. Auch glaubte man einen Augenblick, dass sie es
innerhalb der Strömung bewegten, und hoffte, es bald aus derselben
herausgerettet zu sehen. Ob aber gerade diese Bemühungen die
Gegenwart der Strömung vermehrt, oder wie es damit beschaffen
sein mochte, so ward mit einmal an dem langen Seile das Boot und
seine Mannschaft im Bogen rückwärts nach dem Schiffe geschleudert,
wie die Schmitze einer Peitsche, wenn der Fuhrmann einen Zug thut.
Auch diese Hoffnung ward aufgegeben! — Gebet und Klagen wechselten
ab, und der Zustand wuchs um so schauerlicher, da nun oben auf dem
Felsen die Ziegenhirten, deren Feuer man schon längst gesehen hatte,