— 71 —
guten Hunden; sie reden von der Stoßvögel Spiel und andrer Kurzweil viel;
sie reden auch von schönen Frauen, die sie gerne möchten schauen." (Kaiser¬
chronik.) Den Damen, besonders seiner Braut, widmet sich der junge Ritter.
Er erzählt ihnen von Abenteuern, Turnieren, Jagden, Festen und Tänzen.
Unterdessen ist der Kaplan, der von den Männern fast allein des Lesens und
Schreibens kundig ist und daher sür den Burgherrn alle schriftliche Arbeiten
(Briefe, Antworten und dergl.) besorgen muß, in die Schreibstube geeilt, um
eine Handschrift herbeizuholen. Er weiß, daß der kampfesfrohe Geist der
Ritter und ihre Begier nach Abenteuern im Minnegesang allein keine Be-
sriediguug finden, daß man vielmehr ebensogern den Sagen von Karl und
seinen Paladinen, von König Artus und seiner Tafelrunde, vom trojanischen
Krieg, von Alexanders des Großen Thaten und anderen Mären lauscht, da in
ihnen mit behaglicher Breite die abenteuerlichen Fahrten tapferer Ritter, die
Turniere und der Frauendienst mit den glänzendsten Farben geschildert
werden. Und daher findet auch heute der Kaplan willige Zuhörer, als er
ihnen aus einem Buche „von einem, der Herzog Ernst heißt", vorliest. Der
Sohn des Burgherrn, der vom Kaplan in der Kunst des Lesens unterrichtet wird,
ist so von dem Schicksale dieses Helden ergriffen, daß er, auf Spiel und Unter¬
haltung verzichtend, sich noch länger in den Inhalt des Buches vertieft (f. Bild!).
Der Burgherr aber bittet den wandernden Sänger, sich in seine Nähe
zu setzen, von ihm Kunde begehrend, wie es draußen im Lande zugehe;
denn auf der einsam liegenden Burg erfährt man selten und nur durch münd¬
liche Mitteilungen, was sich in der Welt ereignet. Und gefahrvoll sind jetzt
die Zeiten: zwischen dem jungen Staufer Friedrich, der im Herbste des Jahres
1212, von wenigen Rittern begleitet, aus Italien nach Deutschland gekommen
ist, und dem Welsenkaiser Otto von Braunschweig ist ein heißer Kampf um
des Reiches Krone entbrannt. „Und dieser Streit", so berichtet der Sänger,
„ist entschieden." Denn von Kaufleuten die aus Frankreich gekommen waren,
habe er die Kunde erhalten, daß Otto in einer mörderischen Schlacht* durch
die überlegenen Waffen der französischen Ritter eine schwere Niederlage er¬
litten habe, vou der er sich wohl nicht wieder erholen werde. Große Aus¬
regung bringt diese Nachricht im Saal hervor, und alle dringen in den
Sänger, genaueres über den Verlaus der Schlacht mitzuteilen. Forschend und
fragend aber blickt der Wirt den Sänger an, da er weiß, daß dieser auf
Seiten Ottos und in seinen Diensten gestanden hat. Der Fahrende aber
* 27. Juli 1214 Schlacht bei Bouvines, in welcher Otto IV. als Waffengefährte
König Johanns, seines Oheims, gegen König Philipp August von Frankreich als den Bundes¬
genossen seines Nebenbuhlers kämpfte und gänzlich besiegt wurde.