Full text: Erdkundliches Lesebuch für die Oberstufe höherer Lehranstalten und Seminare

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B. Zur Länderkunde, 
(„Lebwohl, Herr, und kehre heil zurück"), klaug es aus dem Loch zurück. „Inschallah" 
(„So Gott will"), bestätigte ich meinerseits, uud fort ging es in die kalte Nacht hinein. 
Solange wir uns aus slachem Terrain bewegten, hatten wir nur die herum- 
liegenden Trümmer zu meiden. Bald aber kamen wir an einen tief eingeschnittenen 
Kessel am Fuß des Berges, an dessen schroffer Innenwand wir mit größter Vorsicht 
entlangklommen, bis wir die Trümmerhalde im Grund des Kessels betraten, die 
uns laugsam über ein Chaos von Blöcken bergan führte. Es war eine verzweifelte 
Kletterei in dunkler Nacht. Mehrmals kamen wir zu Fall und rissen uns die Glieder 
wund, aber das Marienglaslaternchen nahm keinen Schaden, wenn es auch jedesmal 
verlöschte und durch das Wiederanstecken im Nachtwind unsere Geduld anf eine 
harte Probe stellte. Purtscheller, welcher die Führuug hatte, hielt sich meines Er- 
achtens zu weit rechts, nach Norden, ich drang auf mehr westliche Richtung, weiter 
bergauf zur Mitte des Kibo; als aber der Morgen des 3. Oktober dämmerte, öffnete 
sich plötzlich in schwindelnder Tiese zu unseren Füßen das Tal, dessen südlicher Be- 
grenzuugswall unser Ziel gewesen war. Es blieb nichts anderes übrig, als an den 
schroffen Wänden hinabzukletteru in die schuttbedeckte Mulde und jenseits an den 
Felsklippen wieder emporzusteigen. Das unerwartete Hindernis kostete uns fast 
eine Stunde der besten Tageszeit. 
Nach kurzer Rast traversierten wir die steilen Schutthalden des Tales, ließen 
dabei die letzten Spuren von Blütenvegetation in etwa 4700 m Höhe hinter uns, 
passierten um |7 Uhr einen massigen Lavaquerriegel in der Talmitte und trafen 
an der erstrebten südlichen Talwand gegen 7 Uhr auf die ersten Schneeflecken unter 
dem Schutz der Felsen in 5000 m Höhe. An der nördlichen Talwand ziehen sich im 
Leeschutz des AntiPassates gesellige Schneefelder von hier ab bis zu der von oben 
drohend ins Tal herabhängenden Eiszunge (5360 m) hinauf. Dort fließt das Schmelz- 
wasser in zwei kleinen Bächen ab, die schnell im Geröll verrinnen. Der Blick über 
die von mächtigen Blöcken übersäeten Schuttkegel zur Eiswand hinauf und hinab ins 
Tal, das weit unten nach Süden abbiegt, und an den jäh sich hebenden Talwänden 
entlang, an denen die Erosion wunderliche Lavawindungen und Höhlenformen hat 
zutage treten lassen und stellenweise Schrammen und Glätten auf Gletscherschliff 
hindeuten, während von Zeit zu Zeit das Rauschen des Windes uud das Prasseln 
von rutschendem Schutt die nimmer ruhende Tätigkeit der Naturkräfte verrät, ist von 
ganz eigenartigem Reiz. 
7 Uhr 20 Minuten standen wir endlich auf dem Rücken der Bergrippe, die wir 
uns gestern als geeignete Aufstiegroute ausersehen hatten, und begannen nun keuchend 
über festen Fels und losen Schutt hinweg der steilen Erhebung des Kammes zum Eis 
hinan zu folgen. Alle 10 Minuten mußten wir jedoch ein paar -Augenblicke stehen- 
bleiben, um den Lungen und dem Herzschlag eine kurze Beruhigung zu gönnen, 
denn wir befanden uns längst über Montblanc-Höhe, und die zunehmende Luft- 
dünne machte sich allmählich fühlbar. 8 Uhr 15 Minuten hatten wir über Schotter und 
Blöcke hinweg eine Höhe von 5200 in erreicht und ruhten sitzend eine halbe Stunde lang. 
Ein Schluck des mit Zitronensäure versetzten Schneewassers netzte den in der 
überaus trockenen Luft schmerzhaft gewordenen Gaumeu; Appetit hatte ich uicht 
im mindesten. Den Blick zurückwendend, erkannten wir, daß wir die Höhe des im 
vollen Sonnenlicht rotbraun herüberleuchtenden Mawensi bereits überstiegen hatten. 
Wie Maulwurfshaufen lagen die zentralen Hügel des Sattelplateaus unter uns in 
der Tiefe, zu welcher von Süden her langsam Nebel wallten. Uber der Zone des 
Urwaldes drängte sich eine dichte, silbergraue Wolkenmasse, während weit draußen
	        
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