III. Aeitr. Die neuere Zeit. Von der Reformation bis jetzt.
an Deutschland geübten Unrechts und das Aufhören der französischen Vorherr¬
schaft in Europa. So entledigte sich Rußland der durch den Pariser Frieden
1856 ihm auferlegten Verpflichtung auf dem schwarzen Meere keine Kriegsschiffe
zu halten, und Victor Emanuel vollendete das Königreich Italien durch die Be¬
setzung Roms und des letzten Restes des Kirchenstaates, als die französischen
Truppen von da abberufen wurden. Die Deutschen dagegen führten den aufge¬
zwungenen Krieg in der erhebenden Erinnerung an die Thaten ihrer Väter in
den Kümpfen der Jahre 1813—15: in diesem Sinne ließ König Wilhelm bei
Beginn des Krieges das Ordenszeichen des eisernen Kreuzes wieder aufleben,
in diesem Sinne weihte er nach dem Frieden, als er am 16. Juni an der Spitze
der Garde und der Vertreter des übrigen Heeres in Berlin einzog,
diesen Triumphzug mit der Enthüllung des Denkmals seines Vaters, Friedrich
Wilhelms III., welche Feier für den 100jährigen Geburtstag ant 3. Aug. 1870
bestimmt, aber wegen des Krieges verschoben, nun den schönsten Abschluß des
Krieges und Sieges bildete. Und wie der Krieg der Jahre 70 und 71 in so
vielen Stücken die Erinnerung an die Befreiungskämpfe wach rief, so war er auch
die Fortsetzung und Vollendung derselben in Bezug auf den Erfolg: was damals
nicht erfüllt wurde und Gegenstand der Wünsche und der Sehnsucht blieb, das
hat er gebracht; Elsaß ist wieder unser, Deutschland staatlich geeinigt, Kaiser und
'Reich dem deutschen Volke wiedergegeben.
Das neue deutsche Reich.
Noch ehe der Friede zu Versailles unterzeichnet war, hatte der Krieg eine
schöne Frucht gebracht. Als er ausbrach, fand oder machte er alle deutschen
Fürsten und Staaten einmüthig; so hatten sich die Deutschen noch nie als ein
Volk gefühlt. Der von Gesammt-Dentschland geführte Kampf und seine Erfolge
steigerten das seit Jahren immer mehr erstarkte Nationalgesühl und erweckten das
Bewußtsein, daß jetzt oder nie die deutsche Einheit zu Stande kommen müsse.
Der Weg dazu schien einfach und war, so zu sagen, gewiesen: die süddeutschen
Staaten brauchten nur in den norddeutschen Bund einzutreten: er hatte sich so
denen gekämpft murde, mit in den Kampf eingriffen; ja, es kam zweimal der Fall vor,
daß Geschworengerichte Menschen, bie geständig waren deutsche Soldaten ermordet zu
haben, unter allgemeinem Beifall frei sprachen. Kriegsgefangene ober auf Ehrenwort
entlassene Offiziere, selbst Generale hielten es für patriotisch, bas von ihnen gegebene
Ehrenwort, nicht flüchtig zu werben oder nicht mehr gegen Deutschland zu dienen, zn
brechen und aufs neue die Waffen zu ergreifen; ja, Agenten der republikanischen Re¬
gierung selbst waren thätig Offiziere zu solcher Wortbrüchigkeit zu verleiten. Ebenso
erregte es als eine patriotische That große Bewunderung, als von einem französischen
Artilleristen die Citadelle von Laon, die capitulirt hatte und eben übergeben werden
sollte, in die Luft gesprengt wurde, so baß viele beutsche Soldaten gelobtet unb verstüm¬
melt wurden. Dugegen war es nach ber Meinung ber Franzosen eine unerhörte Barba¬
rei Paris, bas doch eine befestigte Stadt war, zu beschießen! Dabei war gerade votL
französischer Seite in auffallender Weise gegen das Völkerrecht wiederholt gröblich ver¬
stoßen worden, indem auf Parlamentäre nnd die sie begleitenden Trompeter geschossen
wurde. Auch die s. g. Genfer Convention, welche Aerzte, Kranke und Verwundete,,
ihre Transporte und Aufenthaltsorte so zu sagen für neutral erklärte, wurde vielfach
nicht beachtet ober gar mißbraucht. Unb enblich welche Rohheit war es boch gleich bei
Beginn bes Krieges, daß jene berüchtigten afrikanischen Schaaren (Turcos) gegen ein
christliches, gesittetes Volk in den Kampf geführt wurden und daß Zeitungsschreiber der
Nation, welche sich rühmte an der Spitze der Civilisation zn marschiren, noch obendrein
mit kräftigen Farben es ausmalten, wie diese Banden in Feindesland Hausen würden.
ES widerspricht dies wahrer Bildung und Sittlichkeit eben so sehr wie die gleich
zu Anfang des Krieges beliebte und oft brutal ausgeführte Austreibung aller Deutschen
aus Frankreich.