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Leuten bewundern zu lassen, daß sie dafür die Gelegenheit, wenn sie sich 
einmal bietet, recht gründlich benutzen. Uebrigens machen sie dabei keines¬ 
wegs Anspruch auf kostbare Stoffe, und hübscher Kattun steht in großem 
Ansehen; nur der Schnitt der Kleider muß geschmackvoll sein und in 
dieser Hinsicht weichen sie den „Stadtdamen" durchaus nicht. 
In Amerika fällt überhaupt der Unterschied zwischen Bauer und Städter, 
der in der Alten Welt so gewaltig ist, fast ganz hinweg; umsonst wird der 
Einwanderer bei dem dortigen „Landmann" eine Spur von plumpem, un- 
behülflichem Wesen suchen, welches nur zu oft unseren braven Nährstand 
auszeichnet und daher rührt, daß dieser mit den über ihm stehenden Elasten 
zu wenig in Berührung kommt. Der amerikanische kennt keine „vornehmere" 
Elaste, und das Gefühl seiner Unabhängigkeit und Freiheit giebt ihm jenes 
ungezwungene, ich möchte sagen, gentile Wesen, das in unseren Kreisen den 
Mann von Welt verräth. Ebenso verhält es sich mit den Frauen. Ein 
eigenes Interesse gewährt es, die natürliche Grazie zu beobachten, mit 
welcher sich diese „Töchter des Waldes", die ihre wilde Heimath vielleicht 
nie verlassen haben, in allen Lebensverhältnisten benehmen. Sie haben ein 
entschiedenes Selbstbewußtsein, und der Grund davon mag wohl darin 
liegen, daß den „weißen Frauen" überall in Amerika mit Achtung und 
Verehrung begegnet wird, daß kein Mann es wagt, irgend eine, selbst die 
ärmste, niedrigste nicht, mit Wort oder That zu beleidigen. Oft sieht man 
daher auch junge Mädchen und Frauen weite Reisen ohne Begleitung unter¬ 
nehmen, denn sie finden in jedem zufälligen Reisegefährten einen Be¬ 
schützer und Freund. Die jungen Leute heirathen in den Vereinigten 
Staaten sehr früh, und ich habe nicht selten Mütter von 14 und 15 Jahren 
gefunden. Sorgen um die Existenz braucht sich da Keiner zu machen; der 
Landmann des Westens kennt wenig Bedürfnisse und gewinnt leicht die 
Mittel, sie zu befriedigen. Merkwürdig ist die Art, auf welche die Ameri¬ 
kaner nach dem deutsch-englischen Ausdruck „courten", d. h. den Hof machen, 
und unvergeßlich wird mir in diesem Punkte ein junger Mann bleiben, 
der nach echt amerikanischer Weise eine Frau nahm. 
Heinze — er war deutscher Abkunft — hatte sich mit unermüdlichem 
Fleiße ein Stück Land urbar gemacht, ein gutes Blockhaus gebaut, ein 
paar lausend „Fencestangen" gespalten, um noch ein zweites Feld ein¬ 
zäunen zu können, einen kleinen Pfirsichgarten gepflanzt und sich eine so 
allerliebste Zucht von Hühnern und jungen Ferkeln angeschafft, wie man 
nur irgend in Arkansas finden konnte. Die natürliche Folge hiervon war, 
daß alle Nachbarn fest glaubten, Heinze sei der Junggesellenwirthschaft 
müde und wolle heirathen. Trotz aller Sticheleien der Freunde leugnete 
er dies aber auf das Bestimmteste und meinte, „er habe noch Zeit, an's 
Heirathen zu denken." Die Sache war jedoch nicht so ganz richtig, denn 
eines Morgens begann er mit außerordentlichem Eifer seine Sonntags¬ 
stieseln zu wichsen und seinen baumwollenen Rock mit blanken Knöpfen 
auszubürsten. 
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