20. Der Judas von Tirol
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sie die erschütterte Menge. Da hob plötzlich eine Stimme an: „Nun danket
alle Gott!" Stimme auf Stimme gesellte sich hinzu, voller und voller hob
sich der Ton zum Himmel. Im Tal und auf den Höhen, am Ufer und auf
den Halden, auf den Barken und jenseits des Stromes sangen die Menschen
aus tiefster Seele mit.
Es war ein Gottesdienst, wie ihn größer und schöner nie ein Dom
umschloß.
Heldenmütig hatten anspruchslose, schlichte Arbeiter fünfzig Stunden
lang unablässig unter Todesgefahr gerungen, weil Mitmenschen in Not
waren. Hier feuerte die Kämpfer kein Trompetengeschmetter, kein Blick auf
Ruhm und Ehre an. Sie wußten nicht, wer für die Ihrigen sorgen würde,
wenn sie in diesem Kampfe mit Naturgewalten unterliegen sollten, ja nicht
einmal, wo sie das tägliche Brot hernehmen würden, während sie retteten.
Aber sie wußten, was sie als Menschen und Christen zu tun hatten, und —
taten es. Nach Max Maria von Weber.
20. Der Judas von Tirol.
(Vtn Hause des Naffl konnte ein Flintenschuß abgefeuert worden sein, so
<0 heftig war der Knall. Er kam aber nur von dem heftigen Zuschlagen
einer Stnbentür. Es war die Hauswirtin etwas unmutig. „Da bleibt er
die ganze Nacht aus, und man weiß nicht, wo er sich umtreibt, dieser Rot¬
schädel, und zuletzt kommt er leer heim und hat nicht ein Knöchlein Wild¬
bret auf dem Buckel. Was es doch ein Ärger ist mit diesen Mannerleuten'
Dort steigt er daher; wird nicht lange anstehen, sitzt er da in der Stuben und
ivird was zu essen haben wollen. Ist ja alleweil ausgehungert wie ein Rab',
und schon gar, wenn er nächtigerweile auswärts ist gewesen. Wo soll man's
denn hernehmen, das Essen, jetzt mitten im Winter? Ist ja alles zugrunde
gegangen bei diesen: Franzosenrummel, weil die dummen Tiroler lieber Bett¬
ler sein wollen, als wie nachgeben und gut leben, wie es die Bayern haben.
Hunger leiden läßt er keinen, der Franzos!"
Das mochten die Gedanken des unmutigen Weibes sein, welches erst
seit kurzer Zeit mit ihrem Raffl in diesem Hause lebte. Sie waren beide
Dienstleute gewesen, hatten sich aber während des Krieges auf dies Haus
gebracht, dessen Kammern freilich längst ausgeleert und nun ganz auf den
Stutzen des Wildschützen angewiesen waren.
-Und so lief er wieder einmal daher leicht wie der Wind, — noch ein
junger Mann mit fuchsrotem Haar und Bart, — und als ihm das Weib
"» Falk, Künoldt, Lippelt, Lesebuch für höhere Mädchenschulen. IV. Teil. 4
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