mein Zeuge, daß ich unschuldig sterbe!" Der Henker tat seine
Pflicht, und wenige Augenblicke nachher hatte der Gerichtete
seinen Geist aufgegeben. Da teilten sich auf kurze Zeit die dunk-
len Wolken, und die Sonne brach durch. Drei weiße Tauben
flogen gurrend über den Galgen hin, und die Leute, die unten
standen, meinten aus ihrem Gurren die Worte zu hören: „Un-
schuld! Unschuld? Unschuld!"
Da stürzte ein Mann, einen großen Brief hoch haltend,
atemlos den Berg hinan. Es war der Gerichtsbote von Düssel¬
dorf. In dem Brief aber stand geschrieben, daß der Mann, der
da tot am Galgen hing, wirklich unschuldig verurteilt war. Ein
anderer hatte den Mord begangen und auf dem Sterbebette seine
doppelte Schuld bekannt. Der Gerichtsbote war auf einem
schnellen Rosse von Düsseldorf hergeeilt. Er hatte sein Pferd
zu immer größerer Eile angetrieben, weil er den Unschuldigen
retten wollte. Da brach das Tier am Fuße des Berges tot zu-
sammen, und der Bote mußte das letzte Stück des Weges zu Fuß
zurücklegen. Sonst wäre er noch zur rechten Zeit angekommen,
um den armen Mann zu retten. Nun war es zu spät. Die Leute,
die hörten, was in dem Briefe stand, waren tief ergriffen, und
viele Tränen wurden dem Toten am Galgen nachgeweint. Am
tiefsten betrübt aber war der Richter, der das Todesurteil aus-
gesprochen hatte. Er machte sich die bittersten Vorwürfe. Wie
sehr auch seine Freunde und Verwandten ihn zu trösten suchten,
er fand keine Ruhe und legte endlich sein schweres Amt nieder.
Man sagt, er habe an keinem Galgen mehr vorüber gehen können.
Der Galgen auf Karnapshöhe wurde abgebrochen. Die
Stelle, wo er einst stand, aber bleibt jahraus, jahrein sumpfig
und trocknet selbst zur heißesten Jahreszeit nicht aus. Es geht
die Sage, daß dort die Tränen hervorquellen, die um den uw
schuldig Verurteilten geweint wurden.
8. Der Paßgänger in Barmen.
Früher waren die Höhen am User der Wupper alle mit
Wäldern bedeckt, und dazwischen dehnten sich Wiesen und Felder
aus. Hier und da schaute ein Bauernhaus hervor. So war es
auch auf dem Berge, wo jetzt die Heidter Schule steht.
Dort wohnte ein Bauer, der seinen Nachbarn gern einen
Schabernack spielte. In der Nacht ging er wohl heimlich hinaus