I. Pädagogik und moderne Lntwickelung.
Das pädagogische Leben unserer Tage steht an einem Wendepunkt. Die
alten, oft verfochtenen Gedankengänge sind nach harter Arbeit im abgerundeten
System geordnet und in Nachschlagewerken als Ausdruck der Überzeugung
einer in Ehren grau gewordenen Generation gesichert worden. Aber manche
Mine blieb unerschlossen- von dem Metall, das gemünzt und kursfähig ge-
worden war, harrt vieles neuer Prägung, denn das Bildnis ist abgenützt,
die Umschrift veraltet, wenn auch anderes für ewige Zeiten geformt scheint.
Die moderne Zeit beherrscht nun aber mit ganz anderen Werten das Denken.
Es ist, als habe man den Menschen neu entdeckt. Ein Wesen steht vor uns, das
bebt in dem verlangen nach ureigener Offenbarung, das fordert, Subjekt ganz
und ungeteilt zu fein, dem das Schauen in die tiefsten Gründe der Seele zum Be-
dürfnis geworden, das sein selbst möchte gewiß werden, gewiß all der Kräfte,
die da gefesselt, all der Wonnen, die da verborgen liegen: ein Wesen, „noch
unausgeschöpft für die größten Möglichkeiten", wie Nietzsche sagt. Noch haftet
an dem eben erst bewunderten Streben viel von sittlicher Unterwertigkeit. Je
sicherer aber die unlauteren Instinkte ertötet werden, je schärfer im jungen
Morgenrot Nacht und Tag sich scheiden, desto voller wird die Seele schwingen
in dem alle Gründe des Seins durchwallenden Gedanken:<3n uns webt
gestaltende Kraft!
II. Das neue Btlöurtgstöeal.
Mit dem eben vernommenen Ruf ging auch ein Wecken durch die Er-
zieherwelt. Mancher zwar kommt auch jetzt nicht zur Lesinnung; ein anderer
erfährt es an sich wie einen Sonntag; wieder einer aber als eine Gewalt, die
den Glauben hat, Berge zu versetzen. Und dieser Dritte sieht die Geschwader
der neuen Zeit Ausdruckskultur bringen. Noch ist es ein Gesicht. Aber in
der Begeisterung des Schauens bricht der Wille auf, es erdentsprossen zu
sehen, markig, wuchtig und doch in jeder Seite seines Wesens sonnverwandt.
Ihm ist, als höre er aus Tausenden von Seelen den Notschrei Goethes dringen:
Ach, daß die innere Lchöpfungskraft
Durch meinen Sinn erschölle!
Ist's aber möglich, daß Schöpfungskraft in die Menschenwelt einziehe?
Die Optimisten sagen: Gewiß, wenn ein tieferes Verständnis für die Wachs-
tümlichkeit der Seele heraufzieht, wenn erkannt wird, daß dieselbe Kraft, die
die Welt erbaut, in uns selbst geboren werden will und geboren werden kann.
Dann wird der Zögling sein Leben gestalten nach seinem inneren Wesen und
nach seinem äußeren Schauplatz.
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