Prosa. — Pragmatische Geschichtsaufsätze. 102
Stadt, jeder Flecken, jedes Dorf schallte von Kriegslust und Kriegsmusik und
war in einen Uebungs- und Waffenplatz verwandelt; jede Feueresse ward eine
Vaffenschmiede. Das war das Schönste bei diesem heiligen Eifer und fröh—
lichen Gewimmel, daß alle Unterschiede von Ständen und Klassen, von Altern
und Stufen vergessen und aufgehoben waren, daß jeder sich demüthigte und hin—
jab zu dem Geschäft und Dienst, wo er der Brauchbarste war, daß das eine
Noße Gefühl des Vaterlandes und seiner Freiheit und Ehre alle andern Ge—
ühle verschlang, alle andern, sonst erlaubten, Rücksichten und löblichen Verhält—
nisse auffob. Die Menschen fühlten es, sie waren gleich geworden durch das
lange Unglück, sie wollten auch gleich sein im Dienst und Gehorsam. Und so
sehr erhob die große Pflicht und das gemeinsame Streben, wovon sie beseelt
baren, alle Herzen, daß das Niedrige, Gemeine und Wilde, dem in getümmel⸗
bollen Zeiten der Bewaffnungen und Kriege eine so weite Bahn geöffnet ist,
nicht auffkommen konnte. Die heilige Begeisterung dieser unvergeßlichen Tage
ist durch keine Ausschweifung und Wildheit entweiht worden; es war, aͤls fühlte
uch der Kleinste, daß er ein Spiegel der Sittlichkeit, Bescheidenheit und Recht—
lichkeit sein müsse, wenn er den Uebermuth, die Unzucht und Prahlerei besiegen
wollte, die er an den Franzosen so sehr verabscheut hatte. Was die Männer
so unmittelbar unter den Waffen und für die Waffen thaten, das that das
sartere Geschlecht der Frauen durch stille Gebete, brünstige Ermahnungen, fromme
Urbeiten, menschliche Sorgen und Mühen für die Ausziehenden, Kranken und
Lerwundeten. Wer kann die unzähligen Opfer und Gaben dieses großen
Sommers zählen, die zum Theil unter den rührendsten Umständen dargebracht
iind? Wer kann die dem Vaterlande ewig theuren Namen der Frauen und
hungfrauen aufrechnen, welche in einzelnen Wohnungen oder in Krankenhäusern
e Nackenden gekleidet, die Hungrigen gespeist, die Kranken gepflegt und die
Lerwundeten verbunden haben? So geschah es von einem Ende des Reichs
bis zum andern; doch gebührte Berlin der Vorrang; es hat bewiesen, daß es
erdient, der Sitz seiner Herrscher zu sein. Freue dich deiner Ehren, wackere
Stadt! Die alten Sünden sind versöhnt, die alten Unbilden vergessen, Ruhm
und Glück werden wieder ihren Wohnsitz bei dir aufschlagen. Ich sage nur das
kine es war plötzlich wie durch ein Wunder Gottes ein großes und würdiges
Volk erstanden. Krieg wollten alle, Gefahr und Tod wollten sie, den Frieden
sürchteten sie, weil sie von Napoleon keinen ehrenvollen und preußischen Frieden
hoffen konnten. „Krieg! Krieg!“ schallte es von den Karpathen bis zur Ostsee,
bdon dem Niemen bis zur Elbe; Krieg rief der Edelmann und Landbewohner,
der verarmt war, Krieg der Bauer, der sein letztes Pferd unter Vorspannen
und Fuhren todt trieb, Krieg der Bürger, den die Einquartierungen und Ab—
jaben erschöpften, Krieg der Tagelöhner, der keine Arbeit finden konnte, Krieg
die Witwe, die ihren anzigen Sohn ins Feld schickte, Krieg die Braut, die den
Bräutigam zugleich mit Thränen des Stolzes und des Schmerzes entließ.
So hat das preußische Volk und Heer sich offenbart; so sind die Wunder,
die uns Deutschen vom Guadalquivir und Ebro, vom Dniepr und von der
Düna verkündigt wurden, auch bei uns erneuet; so ist Gott und Gottes Kraft
und eine Begeifterung, die wir nicht begreifen können, auch unter uns erschienen.
Die Preußen hatten Fehrbellin und Hochstädt, Turin und Malplaquet, sie hatten
die Tage von Roßbach und Leuthen, die Schlachten von Torgau und Zorndorf
S sie haben nie Tage gehabt, wie die pon Großgörschen und von der Katzbach,
don Dennewitz und von Leipzig; denn sie haben nie vorher mit einem so
droßen Geist, noch für eine so große Sache das Schwert gezogen. Daß wir
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