Full text: Geschichte des Mittelalters (Theil 2)

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genöthigt, ihre stolzen Angriffskriege in ängstliche Vertheidigungs- 
kricge zu verwandeln. Zum Schutze ihrer eigenen Herrschaft 
führten sie längs den Ufern des Rhein und der Donau eine 
Burg nach der anderen aus. Drusns, der Stiefsohn des Kaisers 
Augustus, errichtete ihrer nicht weniger als fünfzig. Auch mäch¬ 
tige Wälle wurden aufgeworfen, und den Göttern nie so viele 
und große Opfer gebracht, als im Winter, wenn die Kälte den 
Rhein und die Donau mit einer Eisdecke belegte, einer gefähr¬ 
lichen Brücke für die jenseits hausenden Barbaren (Halbwilde); 
— so nannten sie unsere Vorfahren. Viele der jetzigen Städte 
und Dörfer an diesen Strömen sind aus solchen Burgen und 
befestigten Lagerplätzen der Römer entstanden und erinnern noch 
mit ihren lateinischen Namen an ihren Ursprung. 
Wegen der vielen Züge, welche die Römer in Deutschland 
bald nach dieser bald nach jener Richtung hin unternahmen; 
wegen der mannigfaltigen Berührungen überhaupt, in welche Rö¬ 
mer und Deutsche miteinander kamen; hatten die Ersteren Ge¬ 
legenheit genug, sich mit den Sitten und Einrichtungen der 
Deutschen wie auch mit der Beschaffenheit des heimathlichen 
Bodens derselben näher bekannt zu machen. Sie fanden bei ihnen 
Alles so fremdartig, so ganz verschieden von Allem, was sie je 
gesehen hatten, daß sie vor Verwunderung ein Bild hievon zum 
bleibenden Andenken entworfen haben. Der berühmte römische 
Geschichtschreiber Tacktus (55—135 n. Chr.) ist es, der in 
einem besonderen Werke uns alle die Nachrichten aufbewahrt hat, 
die er zur Belehrung seiner Landsleute sammeln konnte. Gleichwie 
aber die Berichte von neu entdeckten Ländern selten vollständig 
und zuverlässig sind, so sind auch die römischen Nachrichten über 
den ältesten Zustand unseres Vaterlandes und seiner Bewohner 
mannigfaltig entstellt. Weil die Römer durch den schönen ita¬ 
lischen Himmel, durch ihre prachtvollen Paläste, Bäder, Land¬ 
häuser, kurz, durch alle Bequemlichkeiten des Lebens schon zu 
verwöhnt waren, so schien ihnen Deutschland fast nur eine einzige 
große Wildniß zu sein, mehr zum Aufenthalte wilder Thiere, als 
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