115
der Statthalter Christi auf Erden; seine Gewalt allein von Gott,
alle andere von ihm. Diese geistliche Herrschaft müsse die welt¬
liche leiten und beleben, wie die Sonne den Mond, wie die Seele
den Leib. Wie das Kreuz sinnbildlich über dem Reichsapfel, wel¬
cher die Erde vorstellt, so sollte die Kirche über der Erdenmacht
erhaben stehey. So lehrte Gregor, und hiernach handelte er.
35. Gregor VII. im Kampfe mit Heinrich IV.
Das war der merkwürdige Papst, an den sich die Sachsen
mit ihren Klagen wandten. Der Papst warnte den König; allein
dieser, stolz auf seinen Sieg über die Sachsen, wies alle War¬
nungen mit Spott und Hohn zurück uud ahnte das schwere Un¬
gewitter nicht, das sich über seinem sorglosen Haupte zusammen¬
zog. Da erschien im Anfange des Jahres 1076 zu Goslar, wo
er Hof hielt, ein päpstlicher Legat (Gesandter) und brachte ihm
die ernstliche Weisung, sich binnen sechzig Tagen in Nom vor
eine geistliche Versammlung zu stellen, um von den gegen ihn
angebrachten Beschuldigungen Rechenschaft abzulegen; widrigen¬
falls würde er durch den apostolischen Fluch (Bann) aus der
Kirchengemeiuschast gestoßen werden.
Heinrich, gleich entrüstet und erstaunt über eine solche Zu-
muthung, jagte den Legaten aus dem Lande. Durch übertriebene
Nachrichten von dem Hasse der Römer gegen Gregor verleitet,
und in Erinnerung, daß sein Vater sogar mehrere Päpste ab¬
gesetzt hatte, berief er in demselben Jahre 1076 die deutschen
Bischöfe zu einer Versammlung nach Worms und hatte die
Freude, daß die, welche auf derselben erschienen, ohne Weiteres
die Absetzung des Papstes aussprachen. Mit fröhlichem Herzen
unterzeichnete er die Absetzung uud schickte sie nebst einem derben
Briefe durch einen Gesandten nach Rom. Als dieser ankam,
wurde gerade die angekündigte Versammlung gehalten. Gregor
saß im päpstlichen Ornate auf seinem erhabenen Stuhle, um
ihn herum die Kardinäle und Bischöfe, alle in der Erwartung,
der Gesandte werde im Namen seines Herrn die demühigsten
8*