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und Füßen, in beständiger Angst, in den jähen Abgrund hin¬
unter zu rollen; die Frauen wurden in Schläuchen von Ochsen¬
häuten an Seilen hinabgelassen. An den gefährlichsten Stel¬
len wurden die Pferde vorangelassen, indem man ihnen die
Beine zusammenband und sie an Stricken Hinuntergleiten ließ,
wobei mehrere umkamen. Mit beispielloser Geduld bestand Hein¬
rich alle Mühseligkeiten und Gefahren der Reise, um sich mit
Gott und der Kirche wieder auszusöhnen.
Auf die Nachricht von des Königes Ankunft in Italien
strömten ihm hier von allen Seiten Fürsten und Bischöfe ent¬
gegen, die der Papst in den Bann gethan, und ermunterten ihn,
an ihre Spitze zu treten und den Papst abzusetzen. Heinrich
aber wies sie zurück: „nicht um zu kämpfen, sei er gekommen,
sondern um Buße zu thun!" und zog als reuiger, von dem
Gefühle seiner Schuld zerknirschter Sünder zum Papste. Dieser
war gerade auf der Reise nach Deutschland und erschrak, als
er vernahm, daß der König in Italien sei. Schnell warf er
sich in das feste Schloß Canossa bei Reggio, welches seiner
Freundin, der reichen Gräfin Mathilde von Toscana,^)
gehörte; denn ob der König Krieg oder Frieden bringe, wußte
er nicht. Um so angenehmer wurde er überrascht, als er hörte,
daß Heinrich sich als büßender Pilger ihm nahe, um die Los¬
sprechung nachzusuchen. Heinrich kam auch bald zu Canossa an.
Demüthig bat er hier um Lösung vom Bannspruche: „Er wolle
sich ja gern jeder Bußübung unterwerfen, die der heilige Bater
ihm auferlege." Seine Bitte ward ihm gewährt.
Damals war noch der Eifer der Christen größer, ihre Bu߬
übungen weit strenger. Der öffentliche Sünder, welcher sich
um der Lossprechung willen der Kirchenbuße unterwarf, mußte
zur Sühne des gegebenen Aergernisses in einem wollenen Buß-
*) Sie verband mit Macht und Reichthum eine hohe Bildung und
strenge Gottesfurcht, so daß man sie die große Gräfin nannte. Frei¬
gebig gegen Arme, hülfreich gegen Unglückliche und Vertriebene erbauete
und schmückte sie viele Kirchen und Klöster.