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gewande eine geraume Zeit hindurch am Eingänge der Kirche
im Angesichte der vorüberwandernden Menge stehen und sich so
öffentlich demüthigen. Dabei mußte er fasten und beten, bis er
durch des Priesters Lossprechung wieder in den Schooß der Kirche
zurückgeführt war. Nicht Niedere allein, sondern auch Hohe un¬
terzogen sich bereitwillig dieser und jeder anderen Art von Bu߬
übung, die ihnen auferlegt wurde. Das schien ihnen keine De¬
müthigung vor Menschen zu sein, sondern vor Gott, vor wel¬
chem Fürsten und Bettler gleich stehen. Auch Heinrich unter¬
warf sich zu Canossa der Bußübung. Hier, im einsamen Schlo߬
hofe, stand der König von Italien und Deutschland drei Tage
im wollenen Bußkleide mit bloßen Füßen mitten im Winter,
vom frühen Morgen bis an den Abend, ohne sich mit Speise
und Trank zu lallen, und harrte der Lossprechung. Die Gräfin
Mathilde bat mit heißen Thränen um Mitleid mit dem armen
Büßenden, der geduldet habe, was kein Kaiser vor ihm. Endlich,
am vierten Tage, lösete ihn der Papst vom Banne, fügte aber
die Bedingung hinzu, daß er ruhig nach Deutschland gehe und
sich aller königlichen Gewalt so lange enthalte, bis der anbe¬
raumte Reichstag selbst hierüber entschieden habe.
Mit Unwillen und Zorn im Herzen schied Heinrich vom
Papste. Gegen sein ausdrückliches Versprechen trat er in Italien
als König auf und verband sich von Neuem mit Gregor's Fein¬
den. Um ihn sammelten sich wieder viele lombardische Große
und alle von Gregor gebannten Bischöfe und schwuren ihm Bei¬
stand, wenn er Rache nehmen wolle an dem Papste. Hiedurch
zu neuen Hoffnungen belebt, vergaß Heinrich Deutschland und
verweilte in Italien. Als aber seine Gegner in Deutschland
seine kriegerischen Maßregeln sahen, erwählten sie ohne alle
Rücksicht zu Forchheim einen anderen König, und zwar den Her¬
zog Rudolf von Schwaben, am 15. März 1077. Schnell
eilte er jetzt nach Deutschland zurück. Auch hier fand er An¬
hänger, besonders in den Städten unter den Bürgern, denen
das übermüthige Betragen der Großen verhaßt war. Dennoch