Full text: Geschichte des Mittelalters (Theil 2)

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fochten, mit solcher Gewalt in die Feinde, daß zehntausend von 
diesen erschlagen, die übrigen nach allen Seiten hin zerstreuet 
wurden. Dieser Sieg erfrischte den Muth der abgcmergelten 
Pilger wieder. Unter vielen Mühseligkeiten und Gefahren setzten 
sie ihren Zug fort und kamen glücklich zur Stadt Scleucia am 
Flusse Kalykadnus oder Saleph in Cilicien. Hier aber war dem 
greisen Helden seine Grenze bestimmt. Weil die Brücke über 
jenen Strom nur schmal war, und deshalb der Zug sehr lang¬ 
sam vorwärts ging, so beschloß der Kaiser, des Zögerns müde, 
hindurch zu schwimmen. Mehrere warnten ihn, er möge sich 
nicht dem unbekannten Wasser anvertrauen; aber furchtlos, wie 
immer, sprengte er mit dem Pferde in den Strom. Da aber 
ergriffen die Wellen den allzukühnen Greis und rissen ihn fort. 
Er arbeitete sich zwar wieder empor, und ein Ritter, der ihm 
eiligst nachgeschwommen war, ergriff ihn; aber beide geriethen 
in den Wirbel des Stromes, der sie auseinander riß. Ein 
zweiter, der sich mit dem Pferde in's Wasser geworfen hatte, 
brachte den Kaiser zwar au's Land, aber nur als Leiche (1190). 
Ueber alle Beschreibung war die Bestürzung und Trauer des 
Heeres. Jeder glaubte, iu ihm seinen Vater verloren zu haben.*) 
*) In Deutschland wollte und mochte man lange nicht glauben, daß 
der Schirmherr des Reiches, der gefürchtete und geachtete Rothbart, wirk¬ 
lich gestorben sei. Die Volkssage hat ihn nach Thüringen, in die Burg 
Kyffhausen, versetzt. Dort sitzt er im unterirdischen Saale nachdenkend 
und sinnend am marmornen Tische. Zu Zeiten gelingt es einem Sterb¬ 
lichen, in jenes Gemach zu dringen. Dann wacht der Kaiser aus seinem 
Schlummer auf, schüttelt den rothen Bart und begehrt Kunde, ob noch 
krächzende Raben des Berges Felsenhöhen umkreisen. So lange die schwar¬ 
zen Vögel noch um die öde Felsenkrone flattern, und ein Adler sie nicht 
Hinweggetrieben hat, so lange, meldet die Sage, verharret auch der Alte 
in seiner verfallenen Burg. Vernimmt er, daß sie noch kreischen, dann 
blickt er düster vor sich hin, seufzet tief auf und spricht: „Schlafe wieder 
ein, müde Seele, noch muß ich hundert Jahre harren, bevor ich wieder 
unter meinem Volke erscheine." Zuletzt soll den schlummernden Kaiser ein 
Hirt gesehen haben, der seine Ziegen durch die goldene Aue trieb und sich 
am Kyffhäuser verirrte. Friedrich's rother Bart war beinahe völlig um 
den Tisch von Marmorstein geschlungen. Wenn er ganz um denselben' 
herumgcwachsen ist, dann erwacht der Alte, und die Raben sind verscheucht.
	        
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