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dagegen bei den weit südwärts gezogenen Alemannen und Vajuvaren 
die ersten Verschiebungen auftreten. So singen die Siömme an, ihr eigenes 
Lautsystem, ihr Sondersprachgut auszuprägen. 
Diese verschiedenen Sprach- und Wanderschicksale sonderten die ger¬ 
manische Welt in zwei große Sprachlager, deren Grenze nicht das Meer, 
sondern bis auf den heutigen Tag eine Linie oder Zone ist, die Nord- 
deutschland von West nach Gst durchquert. Seltsam genug stehen also 
das friesische, das Niederfränkische und vor allem das Niedersächsische 
nicht mit den Mundarten der hochdeutschen Brüder und Neichsgenossen, 
sondern mit den fremden Sprachen Hollands, Englands, Dänemarks und 
Skandinaviens auf wesentlich derselben Nonsonantenstufe. Zu den vielen 
originellen Zügen unseres Volkes gehört auch dieses sprachliche Doppel¬ 
leben, das leicht die beiden Träger zu zwei verschiedenen Völkern hätte 
auseinanderreißen können, wie sich ja in der Tat der holländische Teil 
des niederdeutschen Stammes nicht nur eine eigene Schriftsprache, sondern 
auch einen eigenen Staat geschaffen hat. 
wenn die hochdeutsche Nonsonantenverschiebung den ersten starken 
Anstoß zur Spaltung der germanischen Gesamtsprache in viele Teilsprachen 
gegeben hat, so traten bald vokalunterschiede hinzu, um durch weitere 
Variationen des alten Lautsystems innerhalb der Stammsprachen immer 
neue Mundarten hervorzubringen. Im elften Jahrhundert hat bereits 
fast jedes uns erhaltene althochdeutsche Sprachdenkmal seinen besonderen 
Dialekt. Dem fortgesetzten Zerfall in landschaftliche und örtliche Mund¬ 
arten bemühten sich aber schon im Mittelalter angesehene Negierungs¬ 
kanzleien, wie die erzbischöflichen am Nhein und vielleicht auch die staufische, 
eine ausgleichende, feinere Sprache entgegenzustellen. Aber zur vollen 
Geltung einer deutschen Schriftsprache erhob sich keine. Um das Jahr 1500 
erscheinen alle Bücher im Dialekt. Da ergriff Luther die aus Süddeutsch¬ 
land heroorgegangene kursächsische Nanzleisprache und tränkte sie mit 
der Volkstümlichkeit seiner heimischen nordthüringischen Mundart und mit 
seiner höchstpersönlichen, unvergleichlichen Sprachgewalt. Tr schuf die 
neuhochdeutsche Schriftsprache. Seitdem schieden sich Schriftsprache und 
Mundart immer mehr, hier schärfer als dort, doch kamen zwischen ihnen 
mehrere Zwischenstufen auf: eine mittlere, bequeme Umgangssprache der 
Gebildeten, die allerhand Dialektisches beibehielt, eine Halbmundart der 
Bauern für den Verkehr mit „Herren", die von der anderen Seite her 
die Gegensätze ausglich, und das Missingsche, das possierliche Versuchs¬ 
hochdeutsch Ungebildeter. Streng genommen muß jede Lokalsprache, 
namentlich jede Stadtsprache, aus alle diese ihre Spracharten geprüft 
werden. Dagegen ist die aus Schriftdeutsch und Mundart gemischte 
Sprache z. B. Gotthelfs und Noseggers eine individuelle Nunstleistung.
	        
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