Preußen unter dem Drucke der Fremdherrschaft.
245
hatte seinen Zweck vollkommen erreicht: die preußischen Rüstungen waren unter¬
brochen, und der größte Teil des französischen Heeres war für den Krieg mit
Österreich frei geworden. Friedrich Wilhelm III. zögerte zwar, diesen Vertrag
anzunehmen, aber da Napoleon im Oktober 1808 sein schon wankendes Bündnis
mit Rußland auf dem Fürstentage zu Erfurt noch einmal befestigte, mußte
er sich schließlich doch fügen?)
3. Bis zum November hatte Friedrich Wilhelm die von Napoleon
geforderte Entlassung Steins hinausgeschoben. Als nun aber Österreich
eine vertrauliche Anfrage des Königs, ob es bereit sei, die Waffen sogleich
zu ergreifen, ausweichend beantwortete, war Stein nicht mehr zu halten; am
24. November 1808 nahm er seine Entlassung und mußte, da er von Napoleon
geächtet ward, Preußen verlassen.
Anmerkung. Der Freiherr wandte sich zunächst nach Österreich, da aber das eng¬
herzige Regiment des argwöhnischen Kaisers Franz für die geniale Größe dieses „preußischen
Jakobiners" keine Verwendung hatte, mußte der Freiherr die nächsten Jahre in un¬
tätiger Zurückgezogenheit (in Troppau) verbringen.
„Steins Fall war ein schlechthin unersetzlicher Verlust für Preußens
inneres Leben, noch Jahrzehnte lang hat der Staat die Folgen dieses Schlages
empfunden. . . . Alsbald nach Steins Abgang geriet sein Reformwerk ins
Stocken. Alle die bedeutenden Talente, die unter ihm gearbeitet, vermochten
nichts mehr, seit sein belebender mächtiger Wille fehlte." (Treitschke.)
4. Da Preußen, solange das Reformwerk noch nicht vollendet war,
eines leitenden Staatsmanns bedurfte, eine solche Kraft aber nicht vorhanden
war, behalf man sich einstweilen mit einer kollegialen Ministerregierung.
Aber weder der Minister des Innern (Dohna) noch der Finanzminister
Altenstein zeigte sich der Lage gewachsen. „Die Regierung geriet allmählich
wieder in denselben Zustand wohlwollender Untätigkeit wie vor der Jenaer
Schlacht." Als Altenstein dem Könige vorschlug, zur Beseitigung der un¬
erträglichen Finanznot Schlesien abzutreten, übertrug dieser die Leitung des
Staatswesens an Hardenberg (1810), der sich für sein Amt mit außer¬
gewöhnlichen Vollmachten (Staatskanzlerschaft) ausrüsten ließ. So groß aber
auch die Vorzüge dieses talentvollen Staatsmannes waren, sein außer¬
ordentliches diplomatisches Geschick, die erstaunliche Beweglichkeit seines Geistes,
seine treue, echt preußische Staatsgesinnung, so war er dennoch nicht der
Mann, die Neuordnung des in Verwirrung geratenen Staatswesens im Geiste
Steins durchzusetzen, „der echt deutsche Grundgedanke des Steinschen Reformwerkes,
die Idee der Selbstverwaltung, ließ ihn immer kalt. . . . Eine wohlgeordnete
Bureaukratie, beschränkt und beraten durch eine nicht allzu mächtige reichsständische
Versammlung, sollte das freie Spiel der entfesselten sozialen Kräfte in Ordnung
halten". Sein feindseliger Gegensatz zu den Männern der Steinschen Richtung
(Niebuhr, Humboldt, Schönu.a.), seine leichtherzigen Finanzoperationen (Gründung
einer Nationalbank, Steuerreform, Säkularisation der geistlichen Güter re.) und
seine verfehlten Versuche zur Einführung einer Verwaltungsordnung nach fran¬
zösischem Muster (Gendarmerieedikt, Landesdeputiertenversammlung) trugen
nur dazu bei, die innere Lage noch mehr zu verwirren und allenthalben
entrüsteten Widerstand hervorzurufen. (Opposition der Junker unter der
Führung des Herrn von der Marwitz.)
0 Genaueres über den Fürstentag zu Erfurt und seine Bedeutung bei Häusser
a. a. O. III. Bd. S. 193 ff.