Contents: Länderkunde von Europa (Teil 3)

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139. Muhammed. 
(622.) 
Wenn ein edler Baura wilde Zweige getrieben hat und dadurch am Frucht¬ 
tragen gehindert wird, so tritt der Gärtner hinzu und beschneidet ihn mit 
scharfem Messer. Der Baum verliert freilich für eine Zeit lang seine schöne 
Gestalt, und manches Reis fällt zur Eide und erstirbt, aber ihm geschieht den¬ 
noch wohl, er wird gereinigt und gerettet. So musste der Herr zu Anfang 
des siebenten Jahrhunderts mit seiner Kirche thun. Mancher wilde Zweig der 
Sünde und des Weltsinns war an dem edlen Baume hervorgeschossen, be¬ 
sonders im Morgenlande. Da liess der Herr von Morgen her einen gewaltigen 
Feind wider die Kirche aufstehen, der furchtbarer wüthete, als Gothen und 
Hunnen in der grossen "Völkerwanderung je gethan, — es war Muhammed 
und seine Araber. In Arabien wohnten seit uralten Zeiten die Nachkommen 
Ismaels, des Sohnes Abrahams. Obgleich ihre Heimat dem gelobten Lande 
so nahe lag, waren sie dennoch 600 Jahre nach der Geburt unseres Herrn 
immer noch heidnische Götzendiener geblieben, die in viele Stämme getheilt 
und durch mannigfache Kämpfe (Blutrache) entzweit, als Hirten umherzogen 
und vom Ertrage ihrer Heerden und vom Raube lebten. Seit der Zerstörung 
Jerusalems wohnten auch viele Juden in Arabien, auch hatten christliche 
Mönche dort Klöster erbaut, aber sie lebten in so tiefer Unwissenheit, dass 
man Mühe hatte, sie für Christen zu erkennen. In diesem Lande, in der Stadt 
Mecca, trat im Anfang des siebenten Jahrhunderts ein Mann auf, der sich für 
einen von Gott gesandten Propheten ausgab. Muhammed war sein Name. 
Seine Eltern starben frühe, und ein reicher Oheim hatte ihn erzogen und zum 
Kaufmannsstande bestimmt. Er hatte mehrere grosse Handelsreisen nach 
Syrien und an den Euphrat gemacht, hatte später eine reiche Wittwe gehei¬ 
ratet und war ein angesehener Kaufmann geworden. Hernach verlor er sein 
Vermögen wieder, lebte eine Zeit lang, von allen Menschen geschieden, in 
einer Höhle, und trat dann plötzlich mit der Erklärung hervor, der Engel 
Gabriel habe ihm den Auftrag an seine Landsleute gegeben, den Götzendienst 
zu zerstören und den reinen Glauben ihres Vaters Abraham wieder herzu¬ 
stellen. 
Muhammed war ein schöner, kühner und gewandter Mann, in voller Kraft 
seiner Jahre, der die Gabe der Beredsamkeit und der Dichtkunst in einem 
hohen Grade besass. Er wusste seine begeisterten Aussprüche in wohl¬ 
klingende Verse einzutheilen; dadurch wurden sie dem Ohre gefällig und dem 
Gedächtniss behältlich. Viele staunten den neuen Propheten an, aber nur seine 
Frau Kadidschah und sein Nesse Ali glaubten an ihn. Allmählich gewann sein 
Predigen mehr Eingang. Das erregte ihm den Hass seiner Feinde, und einige 
Jahre später musste er, da mehrere derselben sich verschworen hatten, ihn zu 
ermorden, sein Leben durch die Flucht retten. Er floh im Jahr 622 nach 
Christus in eine mit Mecca in Feindschaft stehende Stadt Medina. Hier wurde 
er mit oflenen Armen empfangen und die Zahl seiner Jünger mehrte sich un¬ 
glaublich schnell. Mit dem Jahr dieser Flucht (Hedschra genannt) beginnen
	        
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