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Aber eben deßhalb, weil bas Einzelne sich breit macht, verliert das
Ganze an Einheit, ist Petersbnrg nichts weniger als eine malerische
Stabt. Alles ist so lnftig und licht, es fehlt in den Straßen so sehr an
kräftigen Schatten, an hell dnrchbrechenden Strahlen, an der Mannig¬
faltigkeit desLichts, es ist Alles so beqnem, verständig, so neu, ja
so schön, daß es schwer hält, auch nur eine poetische Ansicht zu gewinnen,
wie man sie in unfern an Contrasten, Erinnerungen und buntem Leben
so reichen Städten unschwer findet. Dazu kommt, daß das Terrain der
Stadt so eben ist, daß sich kein Theil über den andern erhebt. Nichts
hebt sich, nichts gruppirt sich, Alles zerfällt und verschwindet, und die
Augen finden keine Anhaltepunkte in diesem gewaltigen Meere aus - und
niederwogender Paläste.
Namentlich macht sich diese Eigenthümlichkeit Petersburgs im Winter
bemerklichFwo Alles, der Boden, die Dächer, die Newaarme, mit einer
und derselben Farbe, dem einförmigen Weiß des Schnee's, überzogen sind.
Die weißen Wände der Häuser heben sich nicht vom Boden ab und schei¬
nen kaum aus festem Grunde zu wurzeln; die beschneiten Dächer zerfließen
mit den graulichen Tinten des Himmels, ohne die Häuser deckend abzu¬
schließen, und die nordische Palmyra gleicht dann vielleicht einem
Nebelgebilde, einer Schattenstadt, in der alle Linien verschwinden, alle
Ecken fehlen, als hätten die Häuser keine Festigkeit, und als wäre alles
Gemäuer nur locker und lustig.
Kein Ort erleidet aber auch eine so interessante Verwandlung als
die Newatochter im Frühling, wenn ihr Himmel sich abklärt, und die
Sonne das bleiche Leichentuch des Winters von den Dächern und Flüssen
hebt. Es ist, als wenn dann die Stadt erst wahre Existenz bekäme und
sich in wenigen Tagen von Neuem vor den Augen des Zuschauers aus¬
baute. Die Häuser fassen nun auf Öem dunkeln Grunde festen Fuß, die
lebhaften Farben der grün angestrichenen Dächer und der auf blauem
Grunde mit goldenen Sternen beschneiten Kirchenkuppeln, die vergoldeten
Spitzen der Thürme, die sich aus der Eiskruste hervorschälen — erfreuen
nun das so lange Zeit aller erquickenden Farbenspeise entbehrende Auge
mit frischem Reize, und die klaren Flußnymphen, die ihren Eispelz ab-
geworsen haben, werfen aus tausend Spiegeln das Bild der schmucken
Paläste zurück.
Keine unserer heutigen Städte kann sich rühmen, so ganz aus Pa¬
lästen und Riesengebäuden zusammengesetzt zu sein, wie Petersburg, wo
selbst die Hütten der Armuth einen Anstrich von Großartigkeit haben.
Es giebt z. B. drei Gebäude in Petersburg, die nur durch einen Flu߬
arm von einander getrennt sind, dieAdmiralitüt, das kaiserliche
Schloß und das erste Cadettenhaus. Um auf dem geradesten
Wege von dem einen Ende dieser drei Häuser zum andern zu gelangen,
muß ein fleißig daherschreitender Fußgänger 25 Minuten wandern, denn
die Entfernung beträgt etwas mehr als eine englische Meile. Es giebt