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71. Da sprach die hehre Jungfrau: „Was klagt ihr mich an? 
Da doch solchen Willen ich Arme nie gewann; 
Niemand lebt auf Erden, mit dem ich sprechen wollte, 
Es wären denn Verwandte, mit denen ich auch billig reden sollte." 
72. „Schweig, du böse Gatte! Lügen strafst du mich? 
Pas wird an dir noch heute gerochen sicherlich, 
Daß sich dein Zorn nicht wieder so laut hervor soll wagen; 
Eh' ich nachlasse, soll es fürwahr dein Rücken schwer beklagen." 
73. „Das will ich widerrathen," sprach die Jungfrau hehr, 
„Daß ihr mich mit Ruthen schlaget nimmermehr; 
Bin ich doch viel hehrer als ihr mit all den euern; 
So ungefüger Züchtigung möchte man nun wohl bei Zeiten steuern." 
74. Da sprach die Wölfische: „Wo sind die Kleider mein? 
Daß du so gewunden hast die Hände dein, 
Recht wie ein Müßiggänger in deinem Schoß gefallen: 
Leb' ich noch eine Weile, ich will dich anders lehren Dienst verwalten." 
75. Da sprach die Enkelin Hagen's: „Ich ließ sie liegen dort 
Unten am Gestade; da ich sie wollte fort 
Mit mir zu Hofe tragen, war mir zu schwer die Bürde; 
Mich sollt' es nicht kümmern, wenn man sie nicht wieder finden würde." 
76. Da sprach die böse Tcufelin: „Das kommt dir nicht zu Gut; 
Eh' ich mich schlafen lege, wie übel man dir thut!" 
Da ließ sie Dornen brechen und zu Besen binden; 
Es wollte nicht entrathcn so ungefüger Züchtigung Gerlinde. 
77. An ein Bettgestelle sie die Schöne binden hieß. 
In einer Kemenate, wo sie Niemand zu ihr ließ, 
Da wollte sie die Haut ihr vom Gebeine schlagen; 
Die Frauen, die das wußten, huben an zu weinen und zu klagen. 
78. Listig sprach da Gudrnn: „Das will ich euch sagen: 
Werd' ich mit diesem Besen heute hier geschlagen, 
Sieht mich dann je ein Auge bei reichen Kön'gen stehen, 
Auf dem Haupte die Krone, gar übel wird es dem dafür ergehen. 
79.. „Drum rath' ich, daß mich Keiner zu berühren wagt; 
Ich will ihn jetzo minnen, dem ich bisher versagt; 
Man soll mich als Königin der Normandie erschauen; 
Und herrsch' ich da, so thu ich, was mir Niemand möchte zugetrauen." 
80. Da sprach Frau Geelinde: „So ließ ich meinen Zorn; 
Und hättest du mir tausend Linnen auch verlorn, 
Die wollt' ich verschmerzen; wohl sollt' es dir frommen, 
So du Hartmuthen von Normandie dir zum Gemahl genommen." 
81.. Da sprach die schöne Jungfrau: „Erholen muß ich mich; 
Alle diese Qualen sind zu fürchterlich. 
Rufet mir den König von Normandie hieher! 
Was mir der gebietet, ich leiste willig sein Begehr." 
_Uebersetzt von Simrock.
	        
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