Das erste klassische Zeitalter.
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Da sprach die schöne Hildeburg, die Maid aus Irland:
„Was laßt ihr, Königstochter, liegen das Gewand,
Daß ihr Ludwigs Degen zu waschen säumt die Kleider ?
Und wird das Gerlind inne, so that sie uns mit Schlägen niemals leider."
Da sprach die Tochter Hildens: „Dazu bin ich zu hehr,
Der bösen Gerlind waschen will ich nimmermehr.
Nun verschmäh ich Dienste zu leisten so geringe,
Da mich zwei Könige küßten und mit den Armen herzend mich umfingen."
„Ihr dürft mir nicht verdenken," hub Hildburg wieder an,
,,Daß ich zum Waschen rate: wir thäten klüger d'ran,
Als daß wir schwarz die Kleider heim zur Kammer tragen,
Sonst wird uns beiden der Rücken übel heute noch zerschlagen."
Da sprach Hägens Enkelin: „Freude nahet mir
Trost und hohe Wonne: ob sie bis morgen hier
Mich mit Besen schlügen, daran werd' ich nicht sterben.
Doch die uns so mißhandeln, deren müssen viele bald verderben.
„Ich will diese Kleider, tragen zu der Flut;
Es soll ihnen frommen," sprach das Mägdlein gut,
„Daß ich mich vergleichen darf mit Königinnen:
Ich werfe sie in's Wasser, daß sie lustig fließen von hinnen."
Wie auch Hildburg redete, Gudrun trug hindann
Frau Gerlindens Linnen; zu zürnen hub sie an.
Sie schwang sie aus den Händen weit in die Wogen,
Sie schwebten eine Weile; ich weiß nicht, ob sie je hervor sie zogen.
_ (Nach „Simrock.")
II. Aökische Dichtung.
A. Ritterliche Heldendichtung.
1. Parcival.
Dcr Dichter Wolfram von Eschenbach, ein bayerischer Ritter, war wenig begütert und
weilte a>s wandernder Sänger an den Fürstenhöfen Süd- und Mitteldeutschlands. So u. A. auch
an dein geräuschvollen Hofe des Landgrafen Hermann von Thüringen (1° 1216). Dort, auf der
Wartburg, traf er um 1205 mit Walther von der Vogelweide und andern Dichtern zusammen. Bald
nach 1216 mag Wolfram gestorben sein.
Sein berühmtestes Gedicht ist der „Parcival", die „Märe von Weibes rechter Weiblichkeit
und ächten Mannes Mannheit." Seit 120-1 entstanden, hebt daS Gedicht aus der wirren Sagenmasse des
Grals und der Tafelrunde eine Hauptgruppe heraus, um sie in ganz deutschem Geiste zu beleb, n.
Inhalt. „Parcivul ist der Sohn König Gamurets von Valois und
Anjou und Herzeloidens, der Enkelin des Grulskönigs Titurel. Nach des Gatten
frühem Tode erzieht die Mutter den Sohn einsam in einem Walde, um ihn
vor Kampflust zu bewahren. Trotzdem entwickelt er sich aus sich selbst zum
vollendeten Ritter. Er zieht als solcher aus, obwohl die Mutter ihn in ein
Narrengewand gekleidet hat, kommt an Artus Hof, nimmt Jthers, eines
erschlagenen Gegners, Roß und Rüstung, befreit die schöne Conduiramur,
Königin von Brobarz, von ihren Feinden und vermählt sich mit ihr. Bald
indeß zieht er wieder fort, um die inzwischen im Gram verstorbene Mutter zu
suchen. Fischer weisen ihn nach der prächtigen Gralsburg. Dort liegt, an einer-
giftigen Wlinde schwer erkrankt, sein Oheim König Anfortus auf einem Spann¬
bette. Parcival, von der schönsten aller Edeldamen, Repanse de Schoie em¬
pfangen und mit einem reichen Gewände geschmückt, kennt weder seinen Oheim,
noch den Gralkönig und hat auch keine Kunde davon, daß eine Inschrift auf