2. Ich fühl' mich recht wie neu geschaffen,
Wo ist die Sorge nun und Not?
Was mich noch gestern wollt' erschlaffen,
Ich schäm' mich des im Morgenrot.
3. Die Welt mit ihrem Gram und Glücke
Will ich, ein Pilger, frohbereit
Betreten nur wie eine Brücke
Zu dir, Herr, übern Strom der Zeit.
104. Der Mai ist gekommen.
Emanuel Geibel.
1. Der Mai ist gekommen, die Bäume schlagen aus,
Da bleibe, wer Lust hat, mit Sorgen zu Haus;
Wie die Wolken wandern am himmlischen Zelt,
So steht auch mir der Sinn in die weite, weite Welt.
2. Herr Vater, Frau Mutter, daß Gott euch behüt'!
Wer weist, wo in der Ferne mein Glück mir noch blüht!
Es gibt so manche Straste, da nimmer ich marschiert,
Es gibt so manchen Wein, den ich nimmer noch probiert.
3. Frisch auf drum, frisch auf im hellen Sonnenstrahl
Wohl über die Berge, wohl durch das tiefe Tal!
Die Quellen erklingen, die Bäume rauschen all,
Mein Herz ist wie 'ne Lerche und stimmet ein mit Schall.
4. Und abends im Städtlein, da kehr' ich durstig ein:
Herr Wirt, Herr Wirt, eine Kanne blanken Wein!
Ergreise die Fiedel, du lust'ger Spielmann du,
Von meinem Schatz das Liedel, das sing' ich dazu.
5. Und find' ich keine Herberg', so lieg' ich zur Nacht
Wohl unter blauem Himmel, die Sterne halten Wacht:
Im Winde die Linde, die rauscht mich ein gemach,
Es küsset in der Früh' das Morgenrot mich wach.
6. O Wandern, o Wandern, du freie Vurschenlust!
Da wehet Gottes Odem so frisch in die Brust;
Da singet und jauchzet das Herz zum Himmelszelt:
Wie bist du doch so schön, o du weite, weite Welt!