100
die Freveltaten des Amulius und beschlossen, Vergeltung an ihm zu
üben. Sie eilten zu ihren Genossen aufs Land zurück und entflammten
sie durch ihre Erzählung zur Rache an dem Thronräuber. In Hellen
Haufen drangen sie unter Führung der Brüder in die Stadt ein, über¬
fielen die Königsburg, erschlugen den Amulius und setzten ihren Gro߬
vater wieder auf den Thron. Zum Lohne dafür gab ihnen dieser ein
Stück Land in der Gegend, wo sie als Hirten gelebt hatten, damit sie
dort eine Stadt gründeten.
Frisch machten sich die Brüder ans Werk. Aus der ganzen Um¬
gegend kamen auf ihren Ruf Leute herbei, um an dem Bau teilzunehmen.
So entstanden bald auf dem Palatinischen Hügel am linken Tiberufer
zahlreiche Hütten aus Lehm, die mit Schilf und Stroh kümmerlich ge¬
deckt waren. Das war der Anfang der neuen Stadt. Aber wie sollte
sie heißen? Darüber konnten sich die Brüder nicht einigen; jeder wollte
die Stadt nach seinem Namen benannt wissen. Endlich beschlossen sie,
den Willen der Götter durch den Vogelflug zu erkunden. Auf zwei
verschiedenen Bergen stellten sie sich auf und harrten der göttlichen
Zeichen. Da erschienen zuerst dem Remus sechs Geier; aber gleich
darauf flogen an Romulus zwölf Geier vorüber unter Donner und
Blitz. Jeder der Brüder wollte nun gesiegt haben: Remus, weil ihm
zuerst die Schicksalsvögel erschienen seien; Romulus, weil er die doppelte
Zahl geschaut habe. Zornig, daß er den Sieg beanspruche, verspottete
Remus den Bruder und sprang über die niedrige Stadtmauer, um sich
über die armselige Stadt lustig zu machen. Da ergrimmte Romulus
und schlug ihn tot mit den Worten: „So ergehe es jedem, der nach
dir über meine Mauer setzt!" Er nannte die Stadt nach seinem Namen
Rom und herrschte in ihr als König.
57. Oer Raub cler Sabinerirmen. von n«gon Grube.
Charakterbilder aus der Geschichte u. Sage. 1. Teil. 23. Aufl. Leipzig 1882. 8. 153.
UM die Zahl seiner Untertanen zu vermehren, eröffnete Romulus
eine Freistätte, wohin jeder verfolgte Unglückliche, aber auch jeder
verbannte Verbrecher sich retten durfte. Durch dieses Mittel erhielt die
Stadt einen bedeutenden Zuwachs an Männern. Aber nun fehlte es
an Frauen. Um diese zu erhalten, schickte er an die benachbarten Völker
Gesandte und ließ freundlich bitten, sie möchten ihre Töchter den
römischen Männern zur Ehe geben. Aber die Nachbarn wiesen die
Gesandten höhnisch zurück, keiner wollte mit den Römern etwas zu
tun haben.
Nun veranstaltete Romulus ein großes Fest dem Neptun zu Ehren,
und glänzende Festspiele sollten dabei gefeiert werden. Das lockte die
Bewohner der benachbarten Städte herbei, die bei dieser Gelegenheit