Full text: [Teil 2 = 4. u. 5. Schulj] (Teil 2 = 4. u. 5. Schulj)

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2. Sie trägt ein Körbchen; es ist verhüllt, 
mit milden Gaben ist's vollgefüllt. 
Schon harren die Armen am Bergesfns; 
auf der Herrin freundlichen Liebesgrutz. 
3. So geht sie ruhig; — doch Argwohn stahl 
durch Verräters Mund sich zu dem Gemahl, 
und plötzlich tritt Ludwig ihr zürnend nah 
und fragt die Erschrockne: „Was trägst du da?" 
4. „Herr, Blumen!" bebt's von den Lippen ihr. 
„Ich will sie sehen! Zeige sie mir!" -— 
Wie des Grafe): Hand das Körbchen enthüllt, 
mit duftenden Rosen ist's gefüllt. 
6. Da wird das zürnende Wort gelähmt; 
vor der edlen Herrin steht er beschämt; 
Vergebung erflehet von ihr sein Blick. 
Vergebung lächelt sie sanft zurück. 
6. Er geht, und es fliegt ihres Auges Strahl 
fromm-dankbar empor zu dem Himmelssaal. 
Dann hat sie zum Tal sich hinabgewandt 
und die Armen gespeiset mit milder Hand. 
Ludwig Bechstein. 
70. Der Mönch von Heisterbach. 
1. Äm Futze des Ölberges im Siebengebirge lag in waldreicher 
Umgebung das Kloster Heisterbach, von dem heute nur noch geringe 
Überreste vorhanden sind. In diesem Kloster lebte einst ein junger 
Mönch, der es liebte, über Dinge nachzudenken, die für einen Menschen 
schwer zu begreifen sind. Dieser Mönch wandelte eines Tages im 
Klostergarten umher und grübelte über die Worte der Bibel nach: 
„Vor dem Herrn ist ein Tag wie tausend Jahre und tausend Jahre 
wie ein Tag." Er vertiefte sich immer mehr in seine Gedanken, 
verlieh den Garten und erging sich in den benachbarten Felsgründen. 
2. Als er aber das Vesperglöcklein läuten hörte, eilte er zurück 
und klopfte an die Klosterpforte. Ein ihm unbekannter Bruder 
öffnete und fragte nach seinem Begehr. Der Mönch gab keine Ant¬ 
wort, sondern eilte nach der Kirche, um nicht zu spät zum Gottesdienst 
zu kommen. Als er die Kirche betrat, sah er, datz sein Platz schon von 
einem andern eingenommen war, und von all den Mönchen, die
	        
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