266 XIH Geschichtliche und kulturgeschichtliche Scenen und Bilder.
geben. Das „feste zweiflügelige Thor" führt zuerst in den Vorhof;
dort findet Odysseus9) den alten Hund auf dem Miste liegen; indem
Vorhof sind die Stallungen, und er dient auch sonst der Wirtschaft. Aus
ihm tritt man in den innern Hof; er ist von Säulenhallen umgeben,
hinter denen sich rings Gemach an Gemach reiht; hier werden die Leichen
der Freier9) niedergelegt; in der Mitte steht der Altar des Zeus, auf
welchem zu Ehren würdiger Fremdlinge geopfert wird; so bei Alkinoos.
Vom innern Hof geht es in das Vorhaus, wo der Kampf von Odysseus
und Jros io) stattfand; von da geht es durch eine hohe Pforte in den
Saal oder die große Halle. Die Schwelle der Pforte war in Odys¬
seus' Haus von Eschen-, die Pfosten von Cypressenholz; bei Alkinoos war
die Schwelle von Erz, die Pfosten und die Oberlage von Silber, und es
lagen die goldenen und silbernen Hunde davor. Die Schwelle heißt die
hohe, weil der Saal etwas vertieft ist; hier stand Odysseus, als er den
Kampf gegen die Freier eröffnete. Die Decke der Halle ist von fichtenen
Balken getragen, die auf zwei Säulenreihen ruhen. Im Saale steht der
Herd, an dessen Feuer das Fleisch auf Spießen gebraten wird; in langen
Reihen stehen hier die Sessel und die kleinen Tische, je einer zu einem
Sessel; am Abend werden die Leuchtgeschirre aufgestellt; bei Alkinoos
waren es kunstreiche Gebilde, Edelknaben vorstellend. An den Wänden
des Saales hängen Waffen; Odysseus trug Sorge, sie zu entfernen, be¬
vor er die Freier angriff. Der großen Pforte gegenüber ist die Thüre,
welche in das Frauengemach oder den Söller führt, zu welchem
man auf Treppen hinaufstieg; an dieser Thüre zeigte sich Penelope") mit
dem Bogen. Zu beiden Seiten des Mittelraumes sind die Schlafgemächer;
auch diese sind in Alkinoos'Palast reich verziert und haben metallbeschlagene
Thüren.
Wenn wir nun in eines der Häuser der Stadt eintreten wollen, um
seiner Bewohner Leben zu beobachten, so müssen wir das Königshaus
wählen; denn mit diesem macht uns Homern) vor allem bekannt.
Sehen wir zu, wie die Bewohner des Königshauses ihren Tag ver¬
leben. Noch ehe die Sonne aufgeht, wird es munter im Hause. Die
Männer legen Rock und Mantel an, die Frauen und Mädchen ihre faltigen
Gewänder und schlingen den Gürtel um die Hüften, die herunterwallende
Hauptbinde um ihr „ schönes Flechtenhaar". Nach einem Frühmahl geht
jedes an sein Geschäft. Der Vater geht in den Rat; die Mutter setzt sich
mit ihren Frauen zum Spinnen hin; die Tochter nimmt ein Hausgeschäft
vor, wir sehen sie mit der großen Wäsche beschäftigt. Auch die Brüder
werden an die Arbeit gehen; wenn sie nicht zu vornehm sind, die Maul¬
tiere abzuschirren und die Wäsche ins Haus zu tragen, werden sie auch
andere Arbeit in Haus, Hof und Garten nicht scheuen. Aber auch Stär¬
kung und Erholung kommt an die Reihe. Die köstlichste Stärkung ist das
Bad, in der wärmeren Luft des Südens noch nötiger und wohlthuender
als bei uns. Nach dem Bade salbt man sich mit Öl. Zur Erholung
dienen Spiel und Leibesübung; die Mädchen spielen Ball, die Knaben
und Jünglinge treiben ritterliche Spiele.