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1870— 71, der uns die Einheit brachte, als Wacht am Rhein dort
am Abhang des Niederwalds aufgerichtet wurde! Hoch, riesen—
hoch ragt sie empor, die Frau Germania, frei und meilenweit
sichtbar, fast zur doppelten Höhe der Athene, die einst, ein Denkmal
der Siege über die Perser, die Akropolis überragte. Ihr reiches
blondes Haar wallt wie vom frischen Wind bewegt herab; die
vollen festen Lippen scheinen den gegenwärtigen, wie den kommenden
Geschlechtern die Losung zu geben: „Weder trauen, noch fürchten!“
Die Linke stützt sich auf das friedlich gesenkte deutsche Schwert,
und hoch hebt die Rechte des Reichs neuerstandene Krone, uner—
reichbar allen Feinden und Neidern, in die freie Luft. Es ist ein
wunderbarer Adel in der Gestalt und Haltung dieser Figur, die
Schillings Meisterhand ins Dasein gerufen hat, eine wunderbare
Vereinigung von Anmut und Kraft. Ihre vollendete weibliche
Schönheit ist erhöht durch den Ausdruck der Herrscherwürde, der
ruhigen Entschlossenheit, der überwältigenden Erhabenheit. Der
untere Teil des Sockels zeigt uns über drei Stufen die Gruppe,
in welcher der alte Vater Rhein der jugendlichen Mosel, der
neuen Grenzwächterin, das Wachthorn überreicht. Dann erheben
sich zu beiden Seiten der Krieg, ein feuriger Jüngling, in die
Kriegstrompete schmetternd, und der Friede, eine ruhig schreitende
Figur mit Palmzweig und Füllhorn, deren milder Ausdruck wie
von einem Schleier der Wehmut, im Gedanken der schmerzlichen
Opfer, überhaucht ist. Zwischen diesen zwei symbolischen Ge—
stalten befindet sich das große, realistische Hauptrelief, die „Wacht
am Rhein“. In der Mitte der kaiserliche Feldherr zu Pferd,
um ihn geschart die Fürsten, Feldherren, Führer, rechts aus⸗
ziehende, links heimkehrende Krieger, zweihundert Figuren, davon
hundertundfünfzig Porträts! Darunter der volle Text unseres
Nationallieds, aus dem die das Relief erläuternden Schlußworte
groß hervortreten:
Lieb Vaterland, magst ruhig sein,
Fest steht und treu die Wacht am Rhein!“
In gleicher Höhe mit diesem vorderen stehen die beiden großen
Seitenreliefs, rechts der Auszug des Rekruten, Reservisten und
Landwehrmanns, links die Heimkehr zu Vater, Frau und Kind.
Gestalten von tiefster Innigkeit des Gefühls, ergreifend durch