207. Almenleben.
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frei wie im grünen Wald hinaus!
Ein' frohen Mut und guten G'sund
bring' uns der Maibaum alle Stund',
beschütz uns auch in diesen: Jahr —
vor wildem Feu'r und Hagelg'fahr.
Grüß Gott, in Gott des Vaters Namen,
Gott Sohn und heiligen Geistes — Amen!"
Andächtig sprachen alle das Amen nach; mit dem letzten Laute aber
ward die Zither hörbar, von einem der Knechte für den Augenblick bereit
gehalten und mit wenig Kunst, aber desto größerer Heiterkeit gespielt.
Im Nu hatte alles sich an den Händen gefaßt und tanzte im raschen,
kunstlosen Reihen einigeinale unter Jubel, Schreien, Jauchzen um den
Maibanm. In wenigen Augenblicken war dann die Grube eingefüllt,
während Notburg an der Langseite des Hauses auf der gedeckten Gräd
einen Tisch bereit gestellt hatte, von welchem die Küchel mit der Zwetschgen¬
brühe lockten. In der Ecke nebenan verkündeten einige Schläge, daß die
jüngeren Knechte das Halbeimerfäßchen Bier anzapften, das des Moos-
brnnners Freigebigkeit dort versteckt hatte, und bald schäumten die Kriige
an der langen Tafel zwischen den schlichten irdenen Tellern mit dem
duftenden Gebäck. Lautes, fröhliches Geplauder erscholl, dazwischen Ge¬
sang und Zitherspiel, zu welchem bald einzelne, bald mehrere Paare um
den Maibaum tanzten. Nur Trautet blieb ruhig an ihrem Platze sitzen
und vergaß allgemach beinahe, dem alten Moosbrnnner zu antworten,
der immer aufgeräumter wurde und es zuletzt gar nicht mehr bemerkte,
daß er fast allein die Unterhaltung fortführte.
207. Almenleben. [ I.]
Von H. A. Daniel.
Handbuch der Geographie Bd. III. S. 111.
Der längste Tag des Jahres ist vorüber; das Gras „unten" ist
schon geinäht und als Heu eingebracht; der Johannistag ist gekom¬
men und mit ihm die Zeit des „Auftriebs." Alle Vorbereitungen
zum Auszuge sind getroffen; die Almerin hangt der Leitkuh die
Almglocke um, und sobald sie ertönt, gerat alles Vieh in unruhige
oder freudige Bewegung; es drängt in Hast nach der Thür, um ins
Sreie zu kommen und brüllt aus voller Hehle. Das ist gleichsam der
erste Gruß an die fette weide. Alle Hausbewohner sind versammelt;
der Vater, dem die Thränen in die Augen treten, weil er sich von
den lieben Kühen trennen must, auf welchen sein Wohlstand beruht,
gibt der NIagd gute Lehren und Weisungen, die sie schluchzend an¬
hört. Endlich wird die ungeduldige Herde mit Dreikönigswasser be¬
sprengt, zieht munter heraus, und im Bauernhöfe kehrt nun auf
wonate eine tiefe Ruhe ein; die Ställe sind leer.
Lesebuch für höhere Lehranstalten. I. 16