Full text: Klasse 7 (viertes Schuljahr) (Teil 3, [Schülerband])

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„Du hast mich erlöst! Nimm zum Dank den Ring, der in dem 
andern Ei gewesen ist! Es ist ein Wunschring. Wenn du ihn am 
Finger umdrehst und dabei einen Wunsch aussprichst, wird er alsbald 
in Erfüllung gehen. Aber es ist nur ein einziger Wunsch im Ring. 
Ist der getan, so hat der Ring alle weitere Kraft verloren und ist 
nur wie ein gewöhnlicher Ring. Darum überlege dir wohl, was du 
dir wünschest, auf daß es dich nicht nachher gereue.“ 
Darauf erhob sich der Adler hoch in die Luft, schwebte lange noch 
in großen Kreisen über dem Haupte des Bauers und schoß dann wie 
ein Pfeil nach Morgen. 
Der Bauer nahm den Ring, stedte ihn an den Finger und begab 
sich auf den Heimweg. Als es Abend war, langte er in einer Stadt an; 
da stand der Goldschmied im Laden und hatte viel lköstliche Ringe feil 
Da zeigte ihm der Bauer seinen Ring und fragte ihn, was er wohl 
wert wäre. „Einen Pappenstiel!“ versette der Goldschmied. Da lachte 
der Bauer laut auf und erzählte ihm, daß es ein Wunschring sei und 
mehr wert als alle Ringe zusammen, die jener feil hielte. Doch der 
Goldschmied war ein falscher, ränkevoller Mann. Er lud den Bauer 
ein, über Nacht bei ihm zu bleiben, und sagte: „Einen Mann, wie 
dich, mit solchem Kleinode zu beherbergen, bringt Glück; bleibe bei 
mir!“, bewirtete ihn aufs schönste mit Wein und glatten Worten, und 
als er nachts schlief, zog er ihm unbemerkt den Ring vom Finger und 
stedte ihm statt dessen einen ganz gleichen, gewöhnlichen Ring an. 
Am nächsten Morgen konnte es der Goldschmied kaum erwarten, 
daß der Bauer aufbräche. Er wecktte ihn schon in der frühesten Morgen— 
stunde und sprach: „Du hast noch einen weiten Weg vor dir. Es ist 
besser, wenn du dich früh aufmachst.“ 
Sobald der Bauer fort war, ging er eiligst in seine Stube, schloß 
die Läden, damit niemand etwas sähe, riegelte dann auch noch die Tür 
hinter sich zu, stellte sich mitten in die Stube, drehte den Ring um und 
rief: „Ich will gleich hunderttausend Taler haben.“ 
Kaum hatte er dies ausgesprochen, so fing es an, Taler zu regnen, 
harte, blanke Taler, als wenn es mit Mulden gösse, und die Taler 
schlugen ihm auf Kopf, Schultern und Arme. Er fing an, kläglich zu 
schreien, und wollte zur Tür springen, doch ehe er sie erreichen und auf— 
riegeln konnte, stürzte er, am ganzen Leibe blutend, zu Boden. Aber das 
Talerregnen nahm kein Ende, und bald brach von der Last die Diele 
zusammen. und der Goldschmied mitsamt dem Gelde stürzte in den tiefen
	        
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