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solange das Tal beim Ausgange der Sonne noch in grauer Dämmerung
lag. Wenn auch nicht mit Goldpurpur übergössen wie die himmelanstrebenden
spitzen der Alpen, so thronte er doch in seinem glänzenden Wintermantel wie
ein Fürst in seinem Gebiete.
Obwohl schon zehn Uhr morgens, war die Sonne doch erst vor einer
Stunde hinter den Bergen hervorgekommen. Es empfing uns ein Tal, in
das bis jetzt noch kein Sonnenstrahl gedrungen war. Rechts und links erhoben
sich die Bergrücken zu einer ziemlichen Höhe, von oben bis unten mit Tannen
bewachsen. Das Grün ihrer Zweige triumphierte siegreich über den weißen
Schnee; fröhlich und frei ragten sie in die blaue Lust empor, ihre ganze
Schönheit entfaltend.
Schlitten, nüt Reisig beladen, kamen uns entgegen und glitten in
raschem Laufe die steile Landstraße herab. Bei der Enge des gebahnten Weges
mußten wir seitwärts im Schnee Halt machen, bis sie vorüber waren. Auf
der Spille sitzt der Lenker, mit der rechten Hand die Deichsel fassend, mit der
linken sich an einer der gekrümmten Kufen festhaltend. Scharf ist sein Auge
auf jede Krümmung des Weges gerichtet. Bald setzt er rechts, bald links mit
den Hacken ein, bald gibt er mit den Armen, bald mit dem Rücken dem
Schlitten einen kleinen Ruck, um ihn im Geleise zu halten. Es ist eine hals-
brechende Fahrt.
Es war eben ein sogenannter Holztag, einer von den Tagen, an denen
die ärmeren Leute von der Erlaubnis Gebrauch machen, vertrocknete Bäume
und Zweige aus dem Walde zu holen. Mit Schlitterl, Veilen und Reisighaken
versehen, ziehen sie scharenweise an solchen Tagen schon am frühen Morgen
in den Wald. Suchend geht es von Baum zu Baum, und wo ein trockner
Zweig sich findet, wird er mit dem Haken heruntergerissen. Überall knickt und
knackt es, überall sind Frauen und Kinder beschäftigt, das trockene Holz zusam¬
menzulesen und auf Schlitten zu Packer. Es ist ein geschäftiges Treiben au
den Holztagen im Walde, und der Forstmann muß sein Gebiet nach allen
Richtungen durchstreifen, urn nachzusehen, daß die Holzgänger nicht gegen die
bestehenden Gesetze freveln.
Je höher hinauf wir kamen, desto ruhiger wurde es uni uns her. Nur
der Waldbach, der uns zur Linken über Klippen und Felsen hinunterstürzte,
unterbrach die ernste Stille. Im Winter und Sommer begrüßt er geschwätzig
unter Hüpfen und Springen den Wanderer und wird nicht müde, seine Stimme
ertönen zu lassen, als könnte er kein Ende finden, sein Waldleben zu Preisen.
Trotz der grimmigen Kälte hatte er sich doch von den beengenden Fesseln des
Eises frei zu erhalten gewußt. Triuniphierend zeigte er überall sein klares,
kristallhelles Wasser. Nur die Klippeu des steinigen Bettes, über dem ein
duftiger Nebelschleier schwebte, waren mit Eiszapfen behängen, während an
den Ufern das zarte Moos unter dem weißen Schnee freundlich hervorlugte,
als wollte es den Winter verlachen.