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Dritte Abteilung.
des Königs. Der geneigte Leser sagt: „Ein König hat Geld wie
Laub, warum tauft er dem Nachbar die Mühle nicht ab und läßt
sie niederreißen?" Der König wußte, warum; denn eines Tages
ließ er den Müller zu sich rufen. „Ihr begreift, sagte er zu ihm,
daß wir zwei nicht nebeneinander bestehn können. Einer muß
weichen. Was gebt Ihr mir für mein Schlößlein?" Der Müller
sagte: „Wie hoch haltet Ihr es, königlicher Nachbar?" Der König
erwiderte ihm: „Wunderlicher Mensch, so viel Geld habt Ihr nicht,
daß Ihr mir mein Schlößlein abkaufen könnt. Wie hoch haltet
Ihr Eure Mühle?" Der Müller erwiderte: „Gnädiger Herr, so
habt auch Ihr nicht so viel Geld, daß Ihr mir meine Mühle ab¬
kaufen könnt; sie ist mir nicht feil." Der König tat zwar ein Gebot,
auch das zweite und dritte, aber der Nachbar blieb bei seiner Rede:
„Sie ist mir nicht feil. Wie ich darin geboren bin, sagte er, so will
ich darin sterben, und wie sie mir von meinem Vater erhalten
worden ist, sollen sie meine Nachkommen von mir erhalten und auf
ihr den Segen ihrer Vorfahren erben."
Da nahm der König eine ernsthaftere Sprache an. „Wißt
Ihr auch, guter Mann, daß ich gar nicht nötig habe, viel Worte
zu machen? Ich lasse Eure Mühle tarieren und breche sie ab. Nehmt
alsdann das Geld oder nehmt es nicht!" Da lächelte der uner¬
schrockene Mann, der Müller, und erwiderte dem Könige: „Gut
gesagt, allergnädigster Herr, wenn nur das Kammergericht in Berlin
nicht wäre!" Er meinte damit, daß er es wolle auf einen richter¬
lichen Ausspruch ankommen lassen. Der König war ein gerechter
Herr und konnte überaus gnädig sein, also daß ihm die Herzhaftig¬
keit und Freimütigkeit einer Rede nicht mißfällig war, sondern
wohlgefiel. Denn er ließ von dieser Zeit an den Müller unan¬
gefochten und unterhielt fortwährend mit ihm eine friedliche Nach¬
barschaft. Der geneigte Leser aber darf schon ein wenig Respekt
haben vor einem solchen Nachbar und noch mehr vor einem solchen
Herrn Nachbar.
188. Der aufrichtige Prinz.
Fr. Englert, Charakterzüge aus dem Leben Friedrich Wilhelms HI. Magdeburg 1843.
Als Friedrich Wilhelm III. noch ein Knabe war, ließ Fried¬
rich II. ihn einst eine französische Fabel übersetzen und belobte
ihn wegen der Geläufigkeit, mit der er dies ausführte. Der Prinz
aber gestand dem Könige, daß er die Fabel erst vor kurzem bei seinem
Lehrer übersetzt habe. Da streichelte ihm Friedrich mit noch größerer