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ist ein Eisenbahnknotenpunkt. Am linken Ufer der Mulde aufwärts führt
die Staatsbahn an den Fabriken und Schächten der volkreichen Vororte
Schedewitz, Cainsdorf und Wilkau vorbei, durch das waldige, an Natur¬
schönheiten reiche Mulden- und Schwarzwassertal bis Schwarzenberg,
einem hübschen Städtchen des Erzgebirges. Flußabwärts sausen die
Schnellzüge über Glauchau und wenden sich dann ostwärts nach Chem¬
nitz und Dresden. Über die westlichen Hügel keuchen die schwerbeladenen
Güterzüge und bringen Steinkohlen in die Industriestädte des Pleißen-
tales und des Niederlandes. In großen Windungen ersteigt die Bahn
die südlichen Höhen, umgeht das gewerbreiche Dorf Planitz und befördert
die Reisenden sicher und schnell in die freundlichen Dörfer und Städte
des Vogtlandes. —
Wieviel Scharfsinn mußte angewendet werden, um die gewaltige
Dampfkraft zu bändigen und in so hohem Grade dienstbar zu machen,
wie es bei unsern modernen Verkehrsmitteln geschieht! Verkehrshinder¬
nisse gibt es jetzt nicht mehr. Über die höchsten Berge und die breitesten
Ströme, durch Felsen und Schluchten, über und unter der Erde sind
dem Dampfroß Pfade gebaut worden. Auch das Weltmeer ist so gut
wie überbrückt. Die Seefahrt hat ihre Schrecken verloren. Riesige
Schnelldampfer, schwimmenden Palästen gleich, vermitteln den Verkehr
zwischen den fernsten Gegenden und lassen selbst den verwöhntesten Reisen¬
den nichts vermissen.
Die nach der Erbauung der Eisenbahnen ziemlich vereinsamten Land¬
straßen sind jetzt wieder belebt. Auf dem Wege zur Arbeit oder zum
Vergnügen eilen die Radfahrer am Wanderer vorbei. Rasselnd und
Staub aufwirbelnd sausen die Automobile dahin. Die Straßen vieler
Städte, auch unserer Kreisstadt Zwickau, hallen wider vom Glocken¬
ton der elektrischen Bahnen. Vielleicht kommt es noch soweit, daß der
Mensch mit den Vögeln um die Wette auf lenkbaren Luftschiffen durch
den Himmelsraum fliegt.
Wie würden unsere Urahnen staunen, wenn sie in die jetzige Welt
zurückkämen! Sie würden alles für Zauberei und Teufelsspuk halten
und sich wohl schwerlich einem unserer Beförderungsmittel anvertrauen.
Die gute alte Postkutsche mit den schnaubenden Rossen und dem blasenden
Postillon wäre ihnen tausendmal lieber, trotzdem längere Reisen in
derselben die reine Marter waren. Wie oft blieb sie im Schnee oder
Schmutz stecken oder verlor ein Rad, so daß die Reisenden zu Fuß durch
Nacht und Nebel ins nächste Dorf gehen mußten, um in der oft recht
einfachen Gastwirtschaft zu übernachten. Die Herbergsväter und Gast¬
wirte der alten Zeit würden vergebens auf die großen, vierspännigen
Lastwagen warten, die nach langer, anstrengender Fahrt jeden Abend mit
Peitschenknall und lautem Ruf in ihren Hof rollten. Die hanseatischen
Großkaufleute wären gewiß hocherfreut, wenn sie jetzt wiederkämen und
statt mit ihren schwerfälligen Koggen auf schmucken Schnellseglern und
Dampfern die Meere kreuzen dürften.
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