Full text: Für Sexta und Quinta (Abt. 1, [Schülerband])

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doch wagten sie aus Furcht vor des Königs Ungnade und gewaltiger 
Macht keine Widersetzlichkeit. 
2. Da ging an einem Sonntage im November ein redlicher, 
frommer Landmann, Wilhelm Dell genannt, an dem aufgesteckten 
Hute vorüber, ohne sich vor ihm zu neigen. Das ward dem Land¬ 
vogt angezeigt. Morgens, am Montage, beruft er den Dell vor 
sich und fragt, warum er seinem Gebote nicht gehorsam gewesen 
sei und, dem König wie auch ihm zum Trotz, sich vor dem Hute 
nicht geneigt habe. Tell gab zur Antwort: „Lieber Herr, es ist 
von ungefähr und nicht aus Verachtung geschehen; ich dachte nicht, 
daß es Euer Gnaden so hoch ansehen würden." Nun war der 
Tell ein guter Armbrustschütze, daß man einen bessern kaum fand, 
und hatte hübsche Kinder, die ihm lieb waren. Die ließ der Land¬ 
vogt holen und sprach: „Tell, welches unter den Kindern ist dir 
das liebste'?" Tell antwortete: „Herr, sie sind mir alle gleich lieb." 
Da sprach der Landvogt: „Wohlan, Tell, du bist ein guter Schütze, 
wie ich höre. Nun wirst du deine Kunst vor mir bewähren und 
einem deiner Kinder einen Apfel vom Haupte schießen. Triffst du 
ihn nicht auf den ersten Schuß, so kostet es dich dein Leben." Der 
Tell erschrak und bat den Landvogt um Gottes willen, daß er 
ihm den Schuß erlasse; denn es sei unnatürlich, daß er auf sein 
liebes Kind schießen solle; er wolle lieber sterben. Der Landvogt 
aber sprach: „Du tust den Schuß, oder du stirbst mit dem Kinde." 
Nun sah Tell, daß er nicht ausweichen konnte, bat Gott inniglicki, 
daß er ihn und sein liebes Kind behüten möge, nahm seine Armbrust, 
spannte sie, legte den Pfeil auf und steckte noch einen Pfeil in 
sein Kollers. Der Landvogt selber legte dem Kinde den Apfel 
aufs Haupt. Tell zielte und schoß ihn glücklich dem Kinde vom 
Scheitel. Der Landvogt wunderte sich des meisterhaften Schusses 
und lobte den Tell wegen seiner Kunst. „Aber eins", sprach er, 
„wirst du mir sagen. Was bedeutet es, daß du den einen Pfeil 
in das Koller stecktest?" Tell erschrak und sprach: „Das ist so 
der Schützen Gewohnheit." Ter Landvogt aber wußte wohl, daß 
Tell etwas anderes im Sinne gehabt hatte, und redete ihm gütlich 
zu: „Tell, nun sage mir fröhlich die Wahrheit und fürchte nichts. 
Du sollst deines Lebens sicher sein; aber die gegebene Antwort 
nehme ich nicht an." Da sprach Tell: „Wohlan, Herr, da Ihr 
mich meines Lebens versichert habt, so will ich Euch die gründliche 
Wahrheit sagen. Hätte ich des Apfels auch gefehlt, Eurer wahrlich 
würde ich mit diesem zweiten Pfeile nicht gefehlt haben!" Darüber 
erschrak der Vogt und sprach: „Deines Lebens habe ich dich zwar 
*) Wams.
	        
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