Full text: [Teil 1, [Schülerband]] (Teil 1, [Schülerband])

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Jetzt liegt er halb versunken 
trotzig im grünen Meer; 
die weißen Möwen flattern 
schrill kreischend um ihn her. 
Auf dunkeln Wasserpfaden 
tanzt spielend leicht das Schiff, 
es klingt ein fremdes Singen 
heran zum "Felsenriff: 
„O wenn ich doch am Rheine 
bei meiner Liebsten wär'! 
O Heimat, alte Heimat, 
wie machst das Herz du schwer!" 
4. Jrregang. 
Die Berge schimmern weiß beschneit, 
Eis deckt der Ströme Wogen; 
wer kommt im Faschingnarrenkleid 
mit Schall durchs Land gezogen? 
Das ist der lange Jrregang, 
zum Bergwerk will er zielen, 
der Knappschaft und den Grubenherrn 
zu einer Hochzeit spielen. 
Die Braut trat vor den Spielmann hin: 
„Noch einmal laß dich grüßen, 
noch einmal, eh wir zur Kirche ziehn, 
den Singemund dir küssen!" 
„Vergelt' dir's Gott," sprach Jrregang, 
„wie bist du fein geschniegelt! 
Nun bleibt mein Mund dem Singesang 
für alle Zeit versiegelt!" 
Der sechste Reigen war getan, 
den Kehraus wollten sie schwingen: 
da huben dem weidlichen Fiedelmann 
die Saiten an zu springen. 
„Klipp, klapp, schabab!" sprach Jrregang, 
„nun spann' ich keine andern, 
vergnügt euch am Schalmeienklang, 
ich muß noch weiter wandern!" 
Die Braut und aller Jungfraun Schar 
geleiten ihn mit Leuchten; 
und als er am Scheidewege war, 
sein Auge wollt' sich feuchten. 
Heydtmann-Keller, Deutsches Lesebuch. Verk Ausg. 
„Der scharfe Wind," sprach Jrregang, 
„macht mir die Augen weinen, 
es ist um diesen Abschied nicht, 
daß sie betränt erscheinen!" 
Und als er kam zum Stift am Bach, 
die Stiftsherrn winkten beim Becher: 
„Es wettert jach! Tu fein gemach! 
Verkost' unsern Sorgenbrecher!" 
„Hei Mortnauwein!" sprach Jrregang, 
„du heilst viel schwere Wunden; 
doch wem das Herz in Wehmut schwimmt, 
dem mag kein Trunk mehr munden." 
Und als er kam zum Schloß am Berg, 
der Torwart rief vom Turme: 
„Wohl her zur Burg! Dein Wanderwerk 
taugt nichts bei Nacht und Sturme!" 
„Heil euerm Haus!" sprach Jrregang, 
„dort spielt' ich in bessern Tagen; 
doch wenn die letzte Saite sprang, 
wird's schwierig, Laute zu schlagen." 
Und als er auf den Höhen stand, 
wild schnob des Windes Blasen, 
blies allen Schnee zuhauf im Land 
und deckte Joch und Straßen. 
„Willkomm, Freund Schnee," sprach Irre- 
gang, 
„herberg' mich, kühler Geselle! 
Die Stirne glüht mir heiß und bang, 
ich bin zur rechten Stelle! 
Hier find' ich, wie ich uur wünschen mag, 
weichweißeste Linnen und Decken, 
und Hochzeitschlaf!.. Bis zum Jüngsten Tag 
soll mich kein Wächterhorn wecken! 
Hei Jrregangs letzter Jrregang! 
Was schauert ihr, Neidhartgesichter? 
Er träumt, er halte die Braut im Arm, 
halai, wer löscht ihm die Lichter?" 
Ich glaube, den Wandrer im Narrenkleid 
hat Schnee und Sturmnacht begraben; 
verschneit, verweht .. verweht, verschneit! 
Er wollt's nicht anders haben. 
Du weidlicher Meister Jrregang, 
sag' an, wo bist du geblieben? 
.. Die Flocken fliegen in wirbelndem Drang, 
stäuben zusamm . . und zerstieben... 
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