— 27 —
möchte. Darum bitt ich dich, daß du einmal laut singest, damit ich hören möge,
ob du eine schönere Stimme habest oder dein Vater.“ Da erschwang der Hahn
sein Gefieder, und mit geschlossenen Augen fing er an, auf das lauteste zu krähen.
Indem sprang der Fuchs auf, fing ihn und trug ihn in den nahen Wald. Als
das die Bauern gewahr wurden, Üefen sie dem Fuchs nach und schrieen: „Der
Fuchs trägt unsern Hahn fort!“ Als der Hahn das hörte, sprach er zum Fuchs:
Hoͤrst du, Herr Fuchs, was die groben Bauern sagen? Sprich du zu ihnen:
Ich trage meinen Hahn und nicht den euern“. Da ließ der Fuchs den Hahn
aus dem Maule und sprach: „Ich trage meinen Hahn und nicht den euern.“
Indem flog der Hahn auf einen Baum und sprach: „Du lügst, Herr Fuchs, du
lügst; ich bin der Bauern, nicht dein“. Da schlug der Fuchs sich selbst mit der
Pfote aufs Maul und sprach: „O, du böses Maul, wie viel schwätzest du, wie
viel redest du Unnützes! Hätlest du jetzt nicht geredet, so hättest du deinen Raub
nicht verloren!“
22. Der Fuchs und die Gans.
Heinrich Pröhle.
Es fing einmal ein Fuchs eine Gans und wollte sie eben verzehren. Da
bat sie, daß er ihr doch gestatten möchte, vor ihrem Ende noch einmal zu tanzen.
Der Fuchs dachte: „Das kann ich ihr wohl gewähren; sie soll mir nachher um
so besffer schmecken, wenn ich ihr dabei zugesehen habe.“
Als nun die Gans die Erlaubnis hatte, hob sie sich mit den Füßen mehrmals
vom Boden auf, machte dabei auch die Flůgel auseinander und begann vor dem Fuchs
recht artig zu tanzen, wie die Gänse thun, bevor sie anfangen zu fliegen. Nachdem
sie aber so eine Weile zum großen Vergnügen des Fuchses getanzt hatte, flog
sie davon. Da hatte der Fuchs nichts als das Nachsehen, und weil dies bei einem
Gänsebraten, wie du weißt, nicht viel sagen will, so sprach er: „Wie diesmal
soll es mir gewiß nicht wieder ergehen: vor dem Essen ist kein Tanzen wieder.“
III. Varabeln.
23. Drei Freunde.
Johann Gottfried v. Herder.
Traue keinem Freunde, worin du ihn nicht geprüft hast! An der Tafel des
Gastmahls giebt's mehrere derselben, als an der Thür des Kerkers.
Ein Mann hatte drei Freunde. Zwei derselben liebte er sehr; der dritte
war ihm gleichgültig, ob dieser es gleich am redlichsten mit ihm meinte. Einst
ward er vor Gericht gefordert, wo er unschuldig, aber hart verklagt war. „Wer
unter euch,“ sprach er, „will mit mir gehen und für mich zeugen? Denn ich bin
hart verklagt worden, und der König zürnet.“
Der erste seiner Freunde entschuldigte sich sogleich, daß er nicht mit ihm
gehen könne wegen anderer Geschäfte. Der zweite begleitete ihn bis zur Thür
des Richthauses; da wandte er sich und ging zurück, aus Furcht vor dem zornigen
Richter. Der dritte, auf den er am wenigsten gebaut hatte, ging hinein, redete
für ihn und zeugte von seiner Unschuld so freudig, daß der Richter ihn losließ
und beschenkte.
Drei Freunde hat der Mensch in dieser Welt; wie betragen sie sich in der