Full text: Deutsches Lesebuch für Lehrer- und Lehrerinnen-Seminare

selber König sei; und da Brunhild ihr nicht glauben wollte, entspann sich beim 
nächsten Kirchgang, wo Brunhild als Königin den Vortritt in Anspruch nahm, 
ein Wortwechsel, in dessen Verlauf Kriemhild ihrer Gegnerin den Betrug ver— 
riet, den Gunther und Siegfried an ihr begangen. Und Brunhild, in ihrem 
Stolze gekränkt, beschloß, sich an Siegfried zu rächen. Hagen vollführte die 
Rache, indem er zuerst Kriemhilds Vertrauen erschlich, von ihr die verwundbare 
Stelle erfuhr, die vom Drachenblut nicht berührt worden war, dann nach der 
Jagd Siegfried durchbohrte, als dieser sich zum Trunk an einer Quelle nieder— 
gebeugt hatte. Kriemhild, am andern Morgen den Leichnam ihres Gemahls vor 
shrer Thür findend, wußte sogleich, daß Brunhild den Befehl dazu gegeben, 
Hagen ihn vollbracht habe. Trauernd blieb sie am Hofe ihrer Brüder. Das Erbe 
ihres Gemahls, der Nibelungenschatz, von dem sie den Armen spendete, war ihr 
Trost im Leide. Da aber dadurch auch fremde Ritter ins Land gezogen wurden, 
fürchtete Hagen, daß Verderben daraus erwachsen könne, raubte und versenkte 
den Schatz in den Rhein (bei Lorchheimn). So war nun Kriemhild ganz in 
Jammer versenkt. 
Da sandte Etzel, der Hunnen König, dessen Gemahlin Helche gestorben war, 
seiner Mannen viele, Markgraf Rüdiger von Bechlarn an der Spitze, nach 
Worms und ließ um Kriemhild werben. Kriemhild entsetzte sich vor dem An— 
trage. Bald aber kam ihr der Gedanke, daß sie sich dann rächen könne; und 
sie entschloß sich, Etzels Weib zu werden In glänzendem Zuge geleiteten sie 
Etzels Mannen über Passau, Bechlarn ꝛc. Zu Tulna im Osterland kam ihr 
Etzel entgegen, in Wien wurde die Hochzeit gefeiert, darauf zogen sie zur Etzel— 
burg (Gran), wo sie blieben. Kriemhild gebar einen Sohn, der Ortlieb getauft 
wurde. Aber sie konnte des Leides nicht vergessen, das sie erfahren. Als sie 
nun sieben Jahre dort gewesen, bat sie ihren Gemahl, ihre Verwandten einzu— 
laden. Den Abgesandten gab sie besonders den Auftrag, zu sorgen, daß Hagen 
mitkäme. Gerade Hagen aber, Böses ahnend, widerriet, die Einladung anzu— 
nehmen. Als freilich Giselher erwiderte, er solle daheim bleiben, wenn er sich 
schuldig fühle, entrüstete sich Hagen, und voll Trotz und Unmut war er ent— 
schlossen, dem Schicksal nicht auszuweichen. Ritter und Knechte in großen Scharen, 
auch die Nibelungen, begleiteten den König. Unter mannigfachen Abenteuern, 
bei der Überfahrt über die Donau von Meerweibern ihr Schicksal erfahrend (daß 
keiner außer dem Kaplan zur Heimat zurückkehren werde), gelangten sie an die 
Grenze des Hunnenlandes zu Markgraf Rüdiger von Bechlarn. Festliche Tage 
wurden hier verlebt: Rüdigers Tochter dem jungen Giselher verlobt. Aber an 
Etzels Hof zeigte sich sogleich aus Kriemhilds Begrüßung, was sie im Sinne 
hegte, und Hagen band seinen Helm fester und gab die Waffen nicht her, als 
Kriemhild ihre Gäste dazu aufforderte. Kriemhilds Weinen um all ihr Leid, das 
von neuem angeregt wurde, da sie Hagen sah, reizte ihre Mannen gegen Hagen; 
aber vor seinem grimmen Antlitze wichen sie zurück. Da ergriff alle Burgunden 
Besorgnis und Ahnung. Hagen und Vollker wachten in der Nacht vor dem 
Saal, wo die Könige schliefen; es war nicht unnötig, denn bewaffnete Hunnen 
nahten und wurden nur durch den Anblick jener zurückgescheucht. Am anderen 
Tage begann die Rache der Kriemhild zu toben. Auf ihre Verordnung ver— 
nichtete Blödelin, von den hunnischen Mannen einer, das ganze Gefolge der 
Burgunden in der Herberge. Nur einer rettete sich aus der Niederlage zu dem 
Saale, wo die Herren zu Tische saßen. Da trieb es Hagen in wildem Kampfes— 
sinn, auf sein Schwert nicht warten zu lassen. Kriemhilds Sohn Ortlieb, des 
Kindes Hofmeister und alle von den Hunnen, die ihm in den Weg traten, schlug 
er nieder. Dietrich stillte ein wenig den Kampf, der sich sogleich überall erhob, 
führte unter seinem Schutze Kriemhild und Etzel aus dem Saal, und die Burgunden
	        
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