Full text: Für Seminarvorbereitungsanstalten und Fortbildungsschulen (Bd. 1 = Vorstufe, [Schülerband])

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^ 3. Mein Kind, so goldne Zeiten, 
So friedgeweihte Au'n — 
^ch darf auf deinem Tischchen, 
deinem Spiel sie schau'n. 
4. Du führst aus deiner Arche 
Die Tierlein zahm und wild, 
Du leitest Schaf' und Wölfe 
Auf friedlichem Gefild'. 
5. Du fütterst Taub' und Marder 
Bon einem Nestchen Brot, 
And fragst dann mild den Löwen 
Am seines Herzens Not. 
6. Das Lamm mit schwachen Beinen, 
Das nicht wohl stehen kann, 
Du lehnst es an den Tiger, 
Daß er es führe, an. 
7. Das Häschen und den Baren, » 
Den Pardel und das Huhn, 
Du heißest sie, sich wärmend, 
In einem Bettchen ruhn. 
8. Ob das nicht heil'ger Boden, 
Nicht goldne Zeiten sind? » 
O rette aus dem Spiele 
Den Frieden dir, mein Kind! 
228. Belfazer. 
Von H. Heine. 
Gesammelte Werke. Herausgegeben von <$. Karpeleö. 
1. Die Mitternacht zog näher schon; 
stummer Ruh' lag Babylon. 
3. Nur oben in des Königs Schloß, 
Da flackert's, da lärmt des Königs Troß. 
3. Dort oben in dem Königssaal 
Belsaz-r hielt sein Königsmahl. 
4. Die Knechte saßen in schimmernden Reih'n 
And leerten die Becher mit funkelndem Wein. 
5. Es klirrten die Becher, es jauchzten die 
Knecht'; 
So klang es dem störrigen Könige recht. 
6. Des Königs Wangen leuchten Glut; 
3nr Wein erwuchs ihm kecker Mut. 
7. Und blindlings reißt der Mut ihn fort, 
And er lästert die Gottheit mit sündigem Wort. 
8. Und er brüstet sich frech und lästert wild; 
Die Knechteschar ihm Beifall brüllt. 
9. Der König rief mit stolzem Blick; 
Der Diener eilt und kehrt zurück. 
10. Er trug viel gülden Gerät auf demHaupt; 
Das war aus dem Tempel Jehovas geraubt. 
Kritische Gesamtausgabe. Berlin 1887. Bd. I, S. ss. 16 
11. Und der König ergriff mit frevler Hand 
Einen heiligen Becher, gefüllt bis zum Rand. 
12. Und er leert ihn hastig bis auf den Grund 
Und rufet laut mit schäumendem Mund: 
13. „Jehova! Dir künd' ich auf ewig 20 
Hohn; — 
Ich bin der König von Babylon!" 
14. Doch kaum das grause Wort verklang. 
Dem König ward's heimlich im Busen bang. 
15. Das gellende Lachen verstummte zumai: 2s 
Es wurde leichenstill im Saal. 
16. Und sieh! und sieh! an weißer Wand 
Da kam's hervor wie Menschenhand — 
17. Und schrieb und schrieb an weißer Wand 
Buchstaben von Feuer und schrieb und schwand, so 
18. Der König stieren Blicks da saß, 
Mit schlotternden Knieen und totenblaß. 
19. Die Knechteschar saß kalt durchgraut. 
Und saß gar still, gab keinen Laut. 
20. Die Magier kamen, doch keiner verstand n 
Zu deuten die Flammenschrift an der Wand. 
21. Belfazer ward aber in selbiger Nacht 
Von seinen Knechten umgebracht. 
229. Mus dem Leben Friedrich Wilhelms III. 
a. Der Hnaöe und der Leutnant. to 
R. F. Sy lert, Charakterzüge aus dem Lcbm Friede. Wilhelms III. Magdeburg 1844. Tl. I, S. 87. 
Als der König einst, gekleidet in einfache Offiziersuniform ohne Dekoration, mit einer seiner 
^lichter spazieren geht, läuft ein armer Knabe neben dem von ihm unerkannten hohen Herrn her 
Uil*> bittet, ihm eine kleine Börse abzukaufen, die er in großer Anzahl in dem vorgehaltenen 
Kröchen trug. Der fremde Herr weist ihn zurück; das Kind hört aber nicht auf, zu bitten: „Ack. 4s 
Leutnant, kaufen Sie mir doch eine Börse ab! Siekostet nur sechs Groschen; und wenn Sie 
^ch keine brauchen, dann schenken Sie der schönen Mamsell eine, die Sie am Arme haben." Noch- 
^Zurückgewiesen, seufzt der Knabe aus tiefer Brust: „Ach, nun haben wir diesen Mittag nichts
	        
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