430
Schiff zu erreichen. Die Kinder umfaßten seine Kniee, hielten ihn fest und schrieen:
„Hörst du nicht, Vater, wie das Meer braust, wie die Winde fürchterlich heulen!
Bleibe bei uns, wir haben sonst keinen Vater!" — „Was kümmert mich das
Brausen des Meeres", sagte er, „und das Heulen des Windes? Ich höre nichts
s als das Jammergeschrei der Unglücklichen, das durch das Toben der Elemente hin¬
durchdringt; laßt mich! Sie strecken schon ihre Hände nach mir aus,'und, Kinder,
ihr habt noch einen Vater im Himmel, der befiehlt es mir und wird helfen, daß
ich wiederkomme. Er hat mich schon sovielmal aus den größten Gefahren gezogen,
und sterb' ich, so wird Er euch gewiß nicht verlassen." Mit diesen Worten umarmte
io er Frau und Kinder und ging, von acht braven, ihm untergebenen Schiffern begleitet,
zum Strande. Sie sprangen in ein Boot, ruderten mutig den Wellen entgegen
und dem Schiffe zu, aber vergebens. Viermal versuchten sie es aus allen KtästeN
und ebenso oft wurden sie durch die Gewalt des Windes ans Ufer zurückgeworfen-
An Kräften erschöpft und voll Schweiß kehrte Tode nach Hause zurück, um sich
is umzukleiden, als eben seine Frau das Mittagessen bereitet hatte. Voller Freuden
bat sie ihn, sich nun, nach seiner sauren Arbeit, wieder zu erquicken. „Jetzt ist's
nicht Zeit, zu essen", versetzte er, „noch habe ich keinen gerettet; erst will ich wieder
hin und helfen, dann." — Er kleidete sich um, ging in die Kammer, siel auf die
Kniee und betete zu Gott um Mut und Kräfte, und ward erhört. Nach vielen
-v fruchtlosen Versuchen gelang es ihm endlich, daß er ans Schiff kam und elf Menschen
glücklich ans Land brachte. Sogleich schickte er seiner Frau einen Boten. Er ging
hierauf wieder hinaus, begab sich mit seinen acht Gehilfen in das Schiffchen und
ließ ihr sagen: „Elf Menschen habe ich gerettet; freue dich und danke Gott unter¬
dessen, bis ich die übrigen nachhole". Da knieten Frau und Kinder nieder und
2s sangen ein Danklied, während er seine letzten Kräfte anstrengte, wieder an da^
Schiff zu kommen. Er erreichte es endlich, und schon warfen die Unglücklichen aus
dem Schiffe, voll Hoffnung, dem Boote ein Seil zu, um es näher zu sich zu ziehen,
als plötzlich eine ungeheure Welle das Boot umstürzte und den edlen Retter mit
seinen acht Gehilfen in den Abgrund begrub. Er selbst stand am Steuerruder und
so streckte eben die Hände nach dem Seile aus, um es aufzufangen. Seine letzten
Empfindungen waren also wohl der wärmste Dank gegen Gott, und das höchste Ent¬
zücken über den glücklichen Erfolg seiner edlen Tat. So trat er in die Ewigkeit
hinüber, um dort die Freude eines Erretters seiner Brüder nun ganz rein und
unvermischt zu genießen. Denn auch die noch auf den Trümmern des Schifft
35 Zurückgebliebenen wurden noch gerettet, und seine Frau und Kinder tröstete Gott,
daß sie mit Gelassenheit ihren Verlust tragen konnten.
367. Geduld. (1833.)
Bon Ph. Lpitta.
Psalter und Harfe. Bremen i860. I, S. 125.
40 1. Es zieht ein stiller Engel
Durch dieses Erdenland,
Zum Trost für Erdenmängel
Hat ihn der Herr gesandt.
In seinem Blick ist Frieden
Denn willst du ganz verzagen,
Hat er doch guten Mut;
Er hilft das Kreuz dir tragen
Und macht noch alles gut.
3. Er macht zu linder Wehmut
Den herbsten Seelenschmerz
Und taucht in stille Demut
Das ungestüme Herz.
Er macht die finstre Stunde
Allmählich wieder hell,
Er heilet jede Wunde
Gewiß, wenn auch nicht schnell.
4s Und milde, sanfte Huld;
O folg ihm stets hienieden,
Dem Engel der Geduld!
2. Er führt dich immer treulich
Durch alles Erdenleid
ro Und redet so erfreulich
Von einer schönern Zeit.